Asien wird Nordamerika und Europa bis 2030 als ökonomisch stärkste Region der Welt abgelöst haben. Spätestens dann liegt China vor den USA auf dem Spitzenplatz der größten Volkswirtschaften. Die dominierende Supermacht, wie es die USA seit dem Ende des Kalten Krieges waren, wird das Reich der Mitte aber nicht werden. Vielmehr bleiben die Staaten Erste unter Gleichen in der globalen Kräftebalance. Kein anderes Land könne harte Machtfaktoren wie Wirtschaft und Militär auf ähnliche Weise mit der "weichen Macht" kulturellen Einflusses vereinen.

Dies sind die Kernaussagen eines Berichts, in dem die US-Geheimdienste unter dem Titel "Global Trends" das Kunststück wagen, die Entwicklungen der nächsten zwei Dekaden vorherzusagen. Alle vier Jahre erstellt der National Intelligence Council (NIC) in Washington eine neue Prognose. Und wie alle vorangegangen versieht sie auch die jetzige mit dem Hinweis, dass unabsehbare Wendungen - Kriege, neue Technologien oder eine Krise der Weltwirtschaft - das Szenario umstoßen können.

Regionale Riesen

Die Welt des Jahres 2030 wird im Vergleich zur heutigen eine radikal veränderte sein, ziehen die Autoren Bilanz. Der historische Aufstieg des Westens, beginnend um 1750, wird sich endgültig umgekehrt haben und Asiens traditionelles Gewicht in der globalen Ökonomie wiederhergestellt sein. Neben den Riesen China, Indien und Brasilien erlangen regionale Schwergewichte wie Kolumbien, Indonesien, Nigeria, Südafrika und die Türkei zunehmende Bedeutung - auf Kosten Europas, Japans und Russlands. Europa werde allein wegen seines Geburtenrückgangs zurückfallen.

Als prägenden Faktor, vergleichbar mit einer tektonischen Plattenverschiebung, charakterisiert der NIC das Entstehen einer starken globalen Mittelschicht. Zum ersten Mal überhaupt wird eine Mehrheit der Erdenbewohner 2030 nicht mehr in Armut leben, "erstmals wird die Mittelschicht in den meisten Ländern das wichtigste soziale und ökonomische Segment bilden". Dies bedeute einen enormen Anstieg des Konsums von Nahrung, Wasser und Energie - plus 35, plus 40 beziehungsweise plus 50 Prozent.

Parallel dazu schränke der Klimawandel die Verfügbarkeit lebenswichtiger Ressourcen immer mehr ein. In Nahost und Nordafrika, im westlichen Zentralasien, in Südeuropa, dem Süden Afrikas und dem Südwesten der USA sei mit zurückgehenden Niederschlägen zu rechnen. Etwa die Hälfte der Weltbevölkerung werde in Gebieten mit akuter Wassernot leben. Folglich müsse globale Sicherheitspolitik künftig daran gemessen werden, wie vernünftig man mit Ressourcen umgehe.

Pessimistisch klingt die Prognose für Nahost. Demnach bleibt die Region wahrscheinlich die instabilste des Planeten, auch wenn sich die arabische Welt allmählich auf mehr Demokratie zubewegen sollte. Künftige Kriege dort könnten ein "nukleares Element" beinhalten, viele dieser Konflikte dürften schwer unter Kontrolle zu bringen sein. Apropos Nuklearmacht: Zu den 15 Nationen, in denen die Staatsgewalt zu scheitern drohe, zähle neben Afghanistan, Jemen und Uganda auch das atomar bewaffnete Pakistan.

Für bedenklich halten die Autoren eine Art europäische Nabelschau, die sich mit dem zu erwartenden Einflussverlust von Briten, Franzosen oder Deutschen verbinde. Ein mit sich beschäftigtes Europa könnte nur noch in geringerem Maße als stabilisierende Kraft in Nachbarregionen auftreten. Ob das internationale System aus den Fugen gerate, hänge davon ab, ob die USA neue Partner für eine neue Weltordnung finden. Bestes Szenario wäre eine Kooperation zwischen USA und China. Aber erst eine akute Krise, etwa zwischen Indien und Pakistan, könnten Washington und Peking zusammenbringen. (Frank Hermann, DER STANDARD, 12.12.2012)