Der Physiker Haim Harari brachte seine Erfahrungen als Präsident des israelischen Weizmann-Instituts nach Österreich: Grundlagenforschung, wie es das IST Austria betreibt, zahle sich langfristig auch für die Wirtschaft aus.

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Eric Frey sprach mit ihm.

STANDARD: Wir sitzen hier in Maria Gugging, einem Ortsteil von Klosterneuburg und recht weit weg von Wien. Ist das ein Ort, um Top-Wissenschafter anzuziehen?

Harari: Das ist es. Wir bieten gute Arbeitsbedingungen und hervorragende Forschungseinrichtungen. Wir haben einen klaren Fokus auf Grundlagenforschung und bieten Schutz vor Einmischung von außen. Das IST Austria genießt eine starke finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand. Und wir haben einen wunderschönen Campus. Vor allem ist es uns gelungen, gleich am Anfang hervorragende Wissenschafter zu gewinnen. Diese zogen dann wieder andere an. Unsere Informatik-Fakultät ist eine der besten in Kontinentaleuropa, weil unsere ersten beiden Professoren so gut waren.

STANDARD: Aber ist die abgeschiedene Lage nicht auch ein Problem?

Harari: Dieser Ort ist ideal für Grundlagenforschung, mitten in Wien wären wir nicht so erfolgreich. Eine gewisse Isolation ist notwendig, damit Wissenschafter miteinander sprechen. Ein Hirnforscher spricht mit einem Computerwissenschafter, weil Hirn und Computer so viel Ähnlichkeiten haben. Das Vorbild ist das Weizmann-Institut, wo ich den Großteil meiner Laufbahn verbracht habe. In Österreich wurde der richtige Standort gewählt, wenn auch aus falschen, nämlich aus politischen Gründen. Aber wie schon Karl Marx sagte: Aus Katastrophen wachsen Erfolge.

STANDARD: Wie weit ist Ihr Kampf um politische Unabhängigkeit des Instituts geglückt?

Harari: Zu etwa 90 Prozent. Anfang 2006 (als auf Drängen Niederösterreichs der Standort gewählt wurde, Anm.) stand das Projekt am Rande des Scheiterns. Es gab massive politische Einmischung, und die meisten Wissenschafter sprangen ab. Ich kam dann an Bord und forderte, dass kein Politiker im Kuratorium sitzen darf; dass der Managing Director direkt an den Präsidenten berichtet und dieser ein Wissenschafter sein muss. Dem Forscher im Labor mag dies gleichgültig sein, aber es prägt die Seele einer Institution. Die damalige Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer hat alle meine Forderungen akzeptiert. Ich denke, die Politiker haben aus den frühen Problemen etwas gelernt: Entweder macht man eine solche Sache richtig, oder man macht sie gar nicht.

STANDARD: Kritiker sagen, dass all dieses Geld an die Universitäten hätte fließen sollen. Was antworten Sie denen?

Harari: Das Geld wurde den Unis nicht weggenommen, es kam frisches dazu. Ein Institut dieser Art gehört entweder zu den besten, oder es sollte nicht existieren. Der Maßstab muss die Welt sein - nicht einmal nur Europa und schon gar nicht Österreich. Wenn IST Austria in zehn oder 20 Jahren nicht zur den besten gehört, dann würde ich empfehlen, dass die Regierung ihre Förderungen einstellt. Spitzenforschung braucht langfristige und verlässliche Investitionen. Ein halbherziges Projekt ist eine Geld- und Zeitverschwendung.

STANDARD: Sie konzentrieren sich derzeit auf Biologie und Informatik und wollen nun Physik, Mathematik und Chemie ausbauen. Wird das nicht zu viel für ein kleines Institut?

Harari: Nein, wir besetzen ja nicht jede Nische. Derzeit haben wir 250 Mitarbeiter, im Jahr 2026 sollen es 1000 sein. Das ergibt eine kritische Größe, in der wir diese Bereiche gut abdecken können und genügend Interaktion ermöglichen. Aber wir müssen bei der Multidisziplinarität aufpassen. Da kann es passieren, dass man zwischen die Stühle fällt.

STANDARD: Sie sind recht erfolgreich beim Auftreiben privater Gelder. Was bieten Sie den Spendern?

Harari: Das ist vor allem die Arbeit von Claus Raidl und Veit Sorger, und das Geld kommt - abgesehen von der Spende der Bertalanffy-Stiftung - von der Industrie. Die Unternehmen glauben daran, dass unsere Arbeit für die österreichische Wirtschaft gut ist. Ob Raiffeisen oder Voestalpine - sie geben große Summen ohne Bedingungen, höchstens wird ein Gebäude oder ein Saal nach ihnen benannt. Sie erhalten keinen Einfluss auf das, was wir tun. Aber wir müssen dafür sorgen, dass wir das Geld bestmöglich verwenden.

STANDARD: Nützt Grundlagenforschung der Wirtschaft wirklich? Immer wieder hört man, ein kleines Land sollte sich auf angewandte Forschung konzentrieren.

Harari: Schauen Sie doch das Weizmann-Institut an. 1950 wurde dort ein Computer errichtet, der war damals der zweitschnellste der Welt. Das war reine Grundlagenforschung. In den Sechzigerjahren hatten wir die ersten Informatik-Doktorate, und heute ist Israel eine Computer-Weltmacht. Drei Turing-Preise gingen auf diesem Gebiet an Israelis. 1959 hat das Weizmann-Institute begonnen, alle Patente aus der Grundlagenforschung zu vermarkten. 50 Jahre später haben wir 100 Patente im Jahr, und die Umsätze mit Waren, für die Lizenzgebühren bezahlt werden, betragen 20 Milliarden Dollar im Jahr. Wer zum Beispiel eine Abo-Karte für Sky-TV erwirbt, zahlt an das Weizmann-Institut, denn die Technologie wurde dort entwickelt.

STANDARD: Wie werden Lizenzen am IST Austria geregelt?

Harari: Wir haben hier die Regeln vom Weizmann-Institut übernommen. Aber es kann Jahrzehnte dauern, bis tatsächlich Geld fließen wird. 40 Prozent davon wird an die Wissenschafter gehen, der Rest an das Institut. Das mag wie wenig klingen, aber geistiges Eigentum wird leicht gestohlen und ist besonders schwer zu schützen. Dafür braucht es ein kompetentes Management. Ein Institut, das das kann, hilft auch seinen Forschern. Ich sage immer: 40 Prozent von viel ist mehr als 100 Prozent von wenig.

STANDARD: Und wollen Sie, dass Ihre Professoren eigene Unternehmen gründen, dass hier eine Art Silicon Valley im Wienerwald entsteht?

Harari: Wir haben Platz für einen Unternehmenspark auf der anderen Straßenseite, um Spin-offs aus der Grundlagenforschung zu ermöglichen. Vielleicht lassen sich dort auch Unternehmen nieder, die unsere Doktoranden anwerben wollen, die wir hier ausbilden. Aber was wir nicht wollen, ist, dass Professoren mehr Zeit in ihrem Unternehmen verbringen als am Campus.

STANDARD: Warum setzt sich ein israelischer Professor für ein österreichisches Institut ein?

Harari: Das war ein Zufall. Meine Frau kommt aus Wien, und ich war da, als man in der Krise Hilfe brauchte. Ich hätte genauso in Amsterdam oder Kopenhagen enden können. Wissenschaft kennt keine Flaggen und keine Grenzen. (Eric Frey, DER STANDARD, 12.12.2012)