"Mindfuckerei": Amy, gespielt von Karola Niederhuber, kriegt in ihrem Leben kein Bein auf den Boden.

Foto: Hannes Salat

Im Hintergrund Musikerin Birgit Michlmayr, die halbtransparent für Spannung sorgt.

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Eine Frau steht mitten im Raum. Den Blick starr in die Ferne gerichtet. Plötzlich wird ihr dünner, femininer Körper wie von selbst in die Luft geworfen und landet unsanft an der Wand. Willkommen in der gewaltvollen Welt von Amy, einer perspektivlosen Bürgerstochter aus der österreichischen Provinz, die im Trainingslager einer privaten "Sicherheitsfirma" aufgeschlagen ist.

Die Schmerzmacherin auf der Bühne

Am Dienstag feierte die Bühnenadaption von Marlene Streeruwitzs aktuellem Roman "Die Schmerzmacherin" Uraufführung im Wiener Theater Drachengasse. Schauspielerin Karola Niederhuber stemmt in der Inszenierung von Alex.Riener das gesamte aus dem Roman entnommene Text-Konvolut im Alleingang. Sie interpretiert Amy glaubhaft zwischen existenziellen Persönlichkeitsfragen und theoretischer Analyse einer - unserer Kontrollgesellschaft. Das Leben dieser jungen Frau ist, wie es Amy schlicht feststellt, eine dauernde "Mindfuckerei".

Soundtrack zur Haltlosigkeit

Musikalisch untermalt wird dieser fleischgewordene Anpassungsdruck von Birgit Michlmayr, einer seit vielen Jahren aktiven Punk- und Noise-Musikerin (u.a. mit "First Fatal Kiss"). Halb verdeckt hinter einer Leinwand setzt sie mittels elektrisierter Violine und diversen Sounds klirrende Momente der Spannung: Etwa, als Amy um die Bahre eines leblosen Häftlings streift und sich in Erinnerung ruft, wie sie mit solchen Situationen als Sicherheitsbeauftragte umzugehen hat. Dass ihre Stimme allein, wie sie gelernt hat, schon Folter genug sei, kann sie nicht so recht glauben und doch bleibt ihr nichts anderes übrig, als diesen Satz beständig zu wiederholen.

Solch gut gelöste Momente trösten allerdings nicht über das Manko der Bühnenfassung hinweg, nicht für sich allein stehen zu können. Zu assoziativ und bruchstückhaft ausgesucht sind die Textpassagen im Stück, als dass sie den Handlungsstrang des Romans vermitteln könnten. Das umfangreich gestaltete Infoblatt der Koproduktion von "dielaemmer" und Theater Drachengasse kann der gröberen Verunsicherung des Publikums zwar Abhilfe verschaffen, doch im Sinne der Dramaturgie wird dieser Notbehelf sicher nicht sein.

Care and Attention

Irgendwann erfährt Amy von ihrer Schwangerschaft, zu spät, denn die Fehlgeburt läuft ihr bereits die nackten Beine hinunter. Ein eigenes Baby hätte bei all der Infragestellung und Anzweiflung noch etwas sein können, denn: "Das kann jede." Die Fehlgeburt ist der Gipfel der unsichtbaren Bedrohung, die sich über ihr Leben gelegt hat und zugleich der Punkt, an dem Amy den Stecker zieht und die Sicherheitsfirma verlässt. Alles was sie dafür braucht ist ihre Windstopper-Jacke aus dem Spind und die Erkenntnis: "Care and Attention". Mit dieser Floskel aus dem Sicherheitsdiskurs endet auch Streeruwitz' Roman. Wer schon einmal von Sicherheitspersonal "betreut" wurde, weiß, wovon die Rede ist.  (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 13.12.2012)