Drohnenangriff im Spiel "Call of Duty: Modern Warfare"

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"Unmanned"

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"Spec Ops: The Line"

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"Select System" ist der Titel der zweiten Ausgabe der WASD, eines noch jungen Magazins rund um die Gameskultur, das sich vorgenommen hat, anders über Spiele zu schreiben. Games & Politik war das Thema, mit dem sich auf über 200 Seiten verschiedene deutschsprachige Autoren beschäftigt haben. Auch GameStandard-Autor Rainer Sigl hat einen Text beigesteuert, den wir hier im Rahmen einer Kooperation mit dem Magazin veröffentlichen. Die WASD #2 kann ab sofort online bestellt werden.

Death by Joystick

Die "Simpsons", verlässliches Orakel des Absurden, haben es schon 1997 gewusst: Am Ende der Folge "The Secret War of Lisa Simpson" hält der Direktor des militärischen Boot-Camps für schwererziehbare Kinder, das Bart und Lisa gerade absolviert haben, eine im Rückblick geradezu prophetische Rede an die frischgebackenen Soldaten der Zukunft:

"The wars of the future will not be fought on a battlefield or at sea. They will be fought in space – or maybe at the top of a very tall mountain. Most of the actual fighting will be done by small robots. And as you go forth today, remember always: Your duty is clear – to build and maintain those robots."

Drone Warriors

Schon wenige Jahre später ist diese bizarre Pointe Realität geworden: Unter dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama ist der futuristische Drohnenkrieg am Hindukusch und an anderen Orten der US-Hegemonialpolitik tägliche Routine im "Krieg gegen den Terror". Kriegsgerät der Wahl ist die unbemannte Predator-Drohne, ein "Unmanned Air Vehicle", das bei einer Einsatzhöhe von etwa 8.000 Metern und etwa 250 km/h Geschwindigkeit bis zu zehn Raketen oder Gleitbomben an Bord trägt. Die Vorteile dieses ferngesteuerten Luftgeschützes liegen für die US-amerikanische Führung auf der Hand: Ganz ohne den Einsatz von amerikanischen Menschenleben erlauben es die unbemannten Drohnen, überall Aufklärungseinsätze zu absolvieren und auch in schwierigstem Gelände zuzuschlagen – mit "chirurgischer Präzision", wie das von Militärs sowie Politik gern benutzte Schlagwort seit dem ersten Golfkrieg 1991 lautet.

Doch Präzision ist ein dehnbarer Begriff in einem Krieg, der, ganz nach Orwells Vorlage, kaum enden kann. Alleine in Pakistan – hier übernimmt die CIA selbst die von keiner Kriegserklärung legitimierten Einsätze – wurden seit 2004 unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 2.562 und 3.325 Menschen durch US-amerikanische Drohnenangriffe getötet, darunter zwischen 474 und 881 Zivilisten. 176 davon waren vermutlich Kinder, doch diese Art der Kriegführung auf Distanz macht genaue Statistiken, auch über ihre tatsächlichen Erfolge oder Misserfolge, unmöglich. Gelenkt werden die unbemannten Drohnen zunehmend von automatisierten Programmen, lediglich für den tödlichen Feuerbefehl braucht es noch menschliche Entscheidung. Bis 2015, so schätzt das Pentagon, werden 2.000 Drohnenpiloten im Dienst sein, die aus tausenden Kilometern Entfernung 24 Stunden täglich überall auf der Welt ihre Einsätze fliegen und auf Knopfdruck aus buchstäblich heiterem Himmel angreifen können.

Good kill

Die Reihe "Call of Duty: Modern Warfare", der ungekrönte König des militaristischen Blockbuster-Entertainments der Marke Michael Bay, macht im Verlauf der Serie des Öfteren den Blick des Spielers zu dem eines solchen Drohnenpiloten. Mit dem Einsatz von diversen Drohnen im Multiplayer erhebt sich der First-Person-Shooter aus der Froschperspektive des einzelnen Soldaten und die Monitore der Spieler zeigen das charakteristisch in körnigen Grautönen gehaltene Videobild der in sicherer Höhe schwebenden Predator-Drohne, während rauschende Funksprüche uns über aktuelle Ziele informieren und uns in gelangweilt-routiniertem Ton Treffer bestätigen – "Yeah, that was right on target. Good kill, good kill."

Während sonst im First-Person-Shooter unmittelbare Gefahr für das eigene virtuelle Leben droht, ist es hier unsere Aufgabe, jenes anderer – amerikanischer – Soldaten zu beschützen, die aus der Vogelperspektive als weiße Schemen einen aussichtslos scheinenden Kampf gegen eine Übermacht an Feinden führen. Der Obsession allen Militainments, in technischen Details fast religiös größtmöglichen "Realismus" bieten zu wollen, steht hier im Namen der Unterhaltung ein absurd surreales Bild der Drohnenkriegsführung gegenüber: Die Drohne mit ihrem im Spiel endlosen Munitionsvorrat ist in "Modern Warfare", welche Ironie, nicht nur tatsächlich zum legitimen technischen Verteidigungsmittel geworden, ihr Einsatz ist außerdem ein adrenalintreibendes, abwechslungsreiches Unterfangen – der maximale Kontrast zur Realität.

The horror ... the horror

Ist es selbstredend zu viel verlangt, von einem Entertainmentprodukt, noch dazu einem US-amerikanischen mit unausgesprochenerweise jugendlichem Zielpublikum, "Realismus" in der Darstellung einer höchst umstrittenen, aber von höchsten Ämtern verfolgten Militärstrategie zu erwarten? Vermutlich ja, doch es gibt auch im Medium Games selbst Kritik an der Darstellung des technokratischen Tötens aus der Distanz. "Spec Ops: The Line", 2012 vom Berliner Entwickler Yager veröffentlicht, macht dieses Dilemma gar zu einem Dreh- und Wendepunkt seiner an "Apocalypse Now" und Joseph Conrad angelehnten Reise ins Herz der Finsternis.

Auch hier wird der Spieler zum Einsatz der unbemannten fliegenden Artillerie gezwungen, doch das sich als "Antikriegsspiel" verstehende "Spec Ops: The Line" führt seine Spieler nach erfolgtem Luftangriff mit weißem Phosphor zurück auf das erfolgreich "gesäuberte" Schlachtfeld. Die Bilder aus "Modern Warfare" und "Spec Ops" ähneln sich auf den ersten Blick: Hier wie dort ist es eine Konsole mit Videofeed aus der in ungesehenen Höhen fliegenden Drohne, die den Angriff aus der Vogelperspektive erlaubt, doch der Third-Person-Shooter "Spec Ops" zeigt nicht nur durch das sich im Plastik des Konsolendisplays spiegelnde Gesicht seines am Krieg zugrunde gehenden "Helden", dass hier buchstäblich Selbstreflexion angebracht ist, sondern vor allem durch die Sichtbarmachung der grauenhaften Folgen des "chirurgisch präzisen" Luftschlags: Verbrannte Leichen, verstümmelte Sterbende, Berge von Toten – drastischer wurden die Folgen des modernen Hightech-Kriegs im Medium Games bislang nicht gezeigt. Der "good kill" aus maximaler Distanz wird hier ganz nahe gebracht – ein Kommentar auf die Realität des Krieges wie auch auf das diesen oft glorifizierende Medium zu gleichen Teilen.

Gegen die Diktatur der Unterhaltung

Einen ganz anderen Blick auf das Thema bringt Paolo Pedercini. Unter der Parole "Games against the dictatorship of entertainment" veröffentlicht den Italiener mit seinem Studio Molleindustria kurze Spiele, die auch politische Statements sind. "Unmanned", 2012 als kostenloses Browsergame erschienen, kann für sich verbuchen, auf seine Weise das realistischste Bild des real stattfindenden Drohnenkriegs zu zeichnen – jedoch auf unnachahmlich eigenwillige Manier. Es ist die alltägliche Realität eines "Drone Warriors", eines Drohnenpiloten, die Pedercini hier darstellt, und die Zweideutigkeit des englischen Titels steht hier im Mittelpunkt: Der moderne Krieg ist nicht nur "unbemannt", sondern er entmannt auch seine Gewinner.

In kurzen Minispielen begleiten wir einen Drohnenpiloten durch seinen öden Alltag, rasieren uns, fahren zur Arbeit, singen dabei – wie passend – Queens "One Vision" mit, rauchen in der Pause, verfolgen weiße Gestalten auf körnigen Predator-Videofeeds, tratschen mit Frau und Vorgesetzter und verbringen abends mit unserem Sohn die Freizeit vor der Spielkonsole, auf der – eben – im First-Person-Shooter heroisch Krieg geführt wird. Die Arbeit am Kontrollschirm der drohend kreisenden Drohne hingegen ist repetitiv, öde und von ereignislosem Warten bestimmt. Es ist die absurde Normalität des vom Krieg maximal entfernten Kriegsalltags, die die Grenzen zwischen den Monitoren – jenen des realen und des virtuellen Tötens – verschwinden lässt und uns dafür, als Ausgleich, für alles und jedes mit Ehrenmedaillen auszeichnet: vom "Excellence in Shaving"-Orden über jenen für "Husband Good Conduct" bis zur Medaille der "Honorable Dad Unit".

Alltag zu realistisch für Spiele

Einen Orden für einen tatsächlichen Predator-Drohneneinsatz in diesem unspektakulären Arbeitsalltag bietet "Unmanned" natürlich auch: Ihn bekommt, wer ohne Anklicken der sich anbietenden Fragemöglichkeiten an die Vorgesetzte den aus der Luft verfolgten "Verdächtigen" am anderen Ende der Welt per Luftschlag "unschädlich macht". Da sage noch jemand, Spiele über den Krieg müssten immer unrealistisch bleiben.

In einem Artikel der New York Times zum Thema sprach einer der Drohnenpiloten des US-Militärs von der nur auf den ersten Blick offensichtlichen Ähnlichkeit der realen und virtuellen Kriegführung vor dem Monitor: Keiner der Drohnenpiloten würde seine Einsätze auch nur im Entferntesten mit dem Spielen eines Videospiels vergleichen wollen. "Kein Videospiel verlangt von mir, dass ich sechs Stunden dasitze und dasselbe Ziel beobachte. Was wir unseren Crews einbläuen, ist, dass es hier um ein reales Fluggerät mit einem realen Piloten geht. Was für eine Entscheidung man vor dem Monitor auch immer trifft – ob gut oder schlecht -, es gibt immer reale Konsequenzen. " So verknüpfen und trennen sich die reale und die virtuelle Welt in der hier tödlichen, dort lächerlichen Ernsthaftigkeit der "modern warfare" in Geopolitik und Unterhaltungsindustrie. (Rainer Sigl, WASD #2, 17.12.2012)