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Im neuen Verfassungstext - hier von einem Demonstranten hochgehalten - sehen die Islamisten das Heil für die ägyptische Gesellschaft.

Foto: dapd/Ammar

Zwei Tage bevor das ägyptische Verfassungsreferendum stattfinden soll, ist in den Straßen von Kairo von Abstimmungskampf nichts zu sehen. Plakate für oder gegen das neue Grundgesetz, sucht man vergeblich. Dafür gibt es immer noch Leute, die zweifeln, ob das Referendum tatsächlich durchgeführt wird. "Bei den Muslimbrüdern weiß man ja nie, die sind bekannt dafür, dass sie lügen", sagt ein Verkäufer auf einem Kairoer Markt.

Vielleicht hat er sogar recht, denn tatsächlich besteht noch die Möglichkeit, dass das Verwaltungsgericht noch einmal eingreift. Die Richter könnten verfügen, dass es nicht statthaft ist, die Abstimmung auf zwei Tage aufzuteilen und einen Teil des Landes an diesem Samstag und den Rest am kommenden Samstag abstimmen zu lassen.

Hauptsorge gilt der Wirtschaft

Diese politische Krise hatte ein anderes Gesicht als frühere. Erstmals war nicht nur das Stadtzentrum rund um den Tahrir-Platz betroffen. Auch entferntere, zum Teil vornehme Wohnviertel wie Heliopolis und Maadi oder gar die Satellitenstadt 6. Oktober wurden zum Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und der Opposition aus linken, liberalen und nationalen Kräften.

Nach den Großdemonstrationen vom Dienstag, die trotz aller Befürchtungen friedlich geblieben sind, ist die Erleichterung groß und Normalität in den Alltag zurückgekehrt. Die tausenden Beamten und Beamtinnen in dem gigantischen Verwaltungskomplex auf dem Tahrir-Platz sind wieder in ihren Büros und die Geschäfte geöffnet.

Die Hauptaufmerksamkeit der meisten Ägypter gilt wieder ihren wirtschaftlichen Nöten. "Morsis Haus soll abbrennen", ereifert sich ein Chauffeur mit einer typisch ägyptischen Verwünschung. Er ist wütend. Sein Geschäft läuft seit dem Ausbruch der aktuellen Krise vor drei Wochen miserabel, weil die Leute nur noch die unaufschiebbaren Besorgungen erledigen und sonst, wenn immer möglich, zu Hause bleiben. "Dass die Muslimbrüder, seit sie an der Macht sind, nichts getan haben, um die Wirtschaft zu verbessern, das ärgert uns am meisten", sagt eine Hausangestellte.

Ausgang der Abstimmung unklar

Diese Wut auf Präsident Mohammed Morsi ist immer deutlicher zu spüren, auch bei vielen, die ihm bei der Wahl vor einem halben Jahr noch ihre Stimme gegeben haben. "Ich war sogar Mitglied der Muslimbrüder, aber Stück für Stück haben sie mich enttäuscht", sagt ein Architekt, der jetzt Nein sagen will.

Auch ohne große Abstimmungswerbung sind die politischen Fronten für das Referendum klar. Die Islamisten sagen Ja, die Opposition und auch viele alte Mubarak-Eliten sagen Nein. Niemand wagt vorauszusagen, wie das Ergebnis lauten wird. Aussagekräftige Meinungsumfragen gibt es nicht. Viele Leute könnten auch einfach Ja sagen in der Erwartung, dass dann endlich Ruhe einkehrt. (Astrid Frefel aus Kairo, DER STANDARD, 14.12.2012)