Koichi Nakano ist Professor an der Sophia-Universität in Tokio. Er promovierte in Princeton, hat sich auf Parteipolitik und politischen Wandel spezialisiert und gilt als einer der renommiertesten Politik-Kommentatoren Japans.

Foto: Standard/Teske

Der Politologe Koichi Nakano sprach mit Birga Teske über die Konsequenzen der Wahl.


STANDARD: Um welche Themen geht es bei dieser Wahl?

Nakano: Ein herausragendes Thema ist die Atomenergie. Außerdem geht es um politische Reformen - etwa eine Änderung der Verfassung, was vor allem die Sicherheitspolitik betreffen würde. Drittens stellt sich die Frage, wie die Wirtschaft wiederbelebt werden kann. Hierzu gibt es aber nicht viele politische Vorschläge.

STANDARD: Wie wichtig ist das Thema Fukushima?

Nakano: Es ist nicht allentscheidend. Die meisten Japaner wollen früher oder später aus der Atomenergie aussteigen. Die Diskussion dreht sich in erster Linie darum, ob das sofort geschieht oder sich zeitlich über Dekaden erstreckt. Die Wähler sind jedoch unsicher, welche Partei ihren Vorstellungen am nächsten kommt. Die frühere Regierungspartei LDP ist die einzige große Partei, die immer noch mehrheitlich die Atomenergie befürwortet. Davon haben sie aber geschickt abgelenkt, indem sie zunächst eine längere Zeit der Entscheidungsfindung fordern.

STANDARD: Wie wahrscheinlich ist ein Atomausstieg?

Nakano: Das kommt darauf an, wer die Wahl gewinnt. Wenn die LDP wieder an die Macht kommt, ist es fast sicher, dass sie stillgelegte Reaktoren wieder hochfahren lässt. Die Wirtschaftsverbände befürworten eine Wiederaufnahme, aber die Bevölkerung ist mehrheitlich dagegen. Viele Bürger sorgen sich um ihre Sicherheit.

STANDARD: Diesmal treten zwölf Parteien an, so viele wie nie zuvor. Welchen Einfluss werden die neuen Kräfte haben?

Nakano: In Tokio ist die Auswahl groß, aber in den meisten Regionen werden nur zwei oder drei Parteien Kandidaten aufstellen. Sie werden daher wohl im Parlament nicht so stark repräsentiert sein. Allerdings könnte sich die LDP nach einem Wahlsieg den kleineren Parteien zuwenden, um Zugeständnisse von der DPJ zu erwirken.

STANDARD: Der rechtsnationalistischen "Ishin no Kai" wird vorausgesagt, zweitstärkste Kraft im Lande zu werden. Was bedeutet der Aufstieg der Partei für Japans Beziehungen zu China?

Nakano: Die Spannungen im Verhältnis zu den Nachbarländern werden anhalten oder sogar stärker werden - selbst wenn Abe allein regieren sollte. Er hat bereits angekündigt, sich des Inselstreits anzunehmen. Sollte Abe mit "Ishi no Kai" koalieren, würde es noch schlimmer. Parteichef Ishihara hat offen propagiert, dass Japan eine Diktatur benötigt. Er sieht sich wohl selbst an ihrer Spitze. Ein derartiger Rechtsruck würde sich negativ auf die Stabilität in der Region und auch auf Japans Handel auswirken.

STANDARD: Sechs Regierungschefs in sechs Jahren. Können die Politiker da überhaupt Probleme angehen?

Nakano: Nicht wirklich. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die LDP fast fünfzig Jahre ununterbrochen regiert, die letzten zwanzig Jahre davon befand sie sich schon in Auflösung. Als vor drei Jahren die Opposition die Macht übernahm, sah es aus, als würde sich in Japan ein Zweiparteiensystem etablieren. Doch nun ist wieder alles ungewiss. Sollte die DPJ eine schlimme Wahlniederlage erleiden, könnte sie von der Bildfläche verschwinden. Zurzeit herrscht Chaos, und ein Ende ist nicht in Sicht. (DER STANDARD, 14.12.2012)