Der Hochleistungsmedizin fehle Geld, drum komme sie nicht voran, sagte Knosp Andreas Feiertag.

der Standard: Kann man den tödlichen Ausgang der Trennung der siamesischen Zwillingsschwestern in Singapur als Versagen der chirurgischen Hochleistungsmedizin bezeichnen?

Engelbert Knosp: Der Erfolg ist versagt geblieben. Vielleicht sind wir noch nicht so reif, das zu machen. Es gibt Dinge, da können wir nicht auf unsere gängige Erfahrung zurückgreifen, weil jeder dieser Fälle immer ein Einzelfall ist. Es gibt zu wenige solcher Operationen, um von einer zur anderen lernen zu können.

STANDARD: Warum wurde es dennoch getan?

Knosp: Eine berechtigte Frage. Medizinisch gesehen steckt sicherlich Ehrgeiz dahinter, das zu machen. Auf der anderen Seite ist der Leidensdruck der Patienten enorm groß. Wir können uns alle nicht vorstellen, was es heißt, ein Leben lang aneinander gekettet zu sein.

STANDARD: Ist das Fortkommen der Hochleistungsmedizin nicht zur Gänze auf solchen Ehrgeiz und derartige Einzelversuche angewiesen?

Knosp: Nein, glaube ich nicht. Die Schritte, die man im Allgemeinen wagt, sind sehr klein. Um nämlich sicherzugehen, dass das, was man machen will, erreicht werden kann. Und gerade bei der Chirurgie ist die Erfahrung einer der entscheidenden Faktoren. Wenn man viele ähnliche Probleme gelöst hat, wird man auch den nächsten ähnlichen Fall lösen. Aber natürlich wollen wir auch weiterkommen.

STANDARD: Wohin wollen Sie denn?

Knosp: Es gibt viele Tumoren, die trotz guter Abklärung heute noch als inoperabel zu gelten haben. Wir haben Limits. Wohin wir also wollen, liegt auf der Hand: die Limits durchbrechen, besser werden, die Chirurgie dem angleichen, was die Diagnostik uns zeigt. Die Diagnostik ist immer ein wenig weiter in der Technologie. Denken Sie nur an den Kernspintomografen. Aber bis wir so weit sind, dauert das noch. Das sind dann aber Fortschritte, die einer Vielzahl von Betroffenen zugute kommen. Wenn man sich demgegenüber wieder die siamesischen Zwillinge ansieht, dann sind das solche Raritäten, mit denen kann man nicht rechnen, braucht man auch nicht zu rechnen.

STANDARD: Gut. Sie rechnen nicht mit derart raren Fällen, und die Tumortherapie mit all ihren tatsächlichen und vermeintlichen Fortschritten wird zusehends Sache von Molekularbiologen und Humangenetikern. Ja, glauben Sie denn nicht, dass die Hochleistungschirurgie durch diese Entwicklungen bereits ihren Zenit überschritten hat und außer für das Zusammenflicken gebrochener Knochen nach einem Unfall bald nicht mehr gebraucht wird?

Knosp: Wenn es uns gelingen würde, die Ursache von Tumoren zu bekämpfen, wäre es natürlich fantastisch. Chirurgen sind ja nur Reparateure von bereits existierenden Schäden. Wenn man den Schaden verhindern könnte durch gezielte Gentherapien, wäre das super.

STANDARD: Aber dann sind Sie überflüssig.

Knosp: Ja. Und ich würde mich darüber freuen. Die Chirurgie könnte dann zu einem Auslaufmodell werden. Aber wir sind noch sehr weit davon entfernt. Deshalb muss man weiterhin in die chirurgische Forschung investieren.

STANDARD: Was wird denn investiert?

Knosp: Sie müssen sich nur das Budget anschauen, dann wissen Sie es.

STANDARD: Geht's konkreter?

Knosp: Extrem wenig, und deshalb kann man an einen Fortschritt derzeit auch nicht denken. Ich sehe im Moment keine Entwicklung.

STANDARD: Und wie war die Vergangenheit?

Knosp: Meilensteine hat es für die Hochleistungschirurgie natürlich schon gegeben, als noch Geld da war. Da ist vor allem die Entwicklung von bildgebenden Verfahren zu nennen, durch die es uns möglich geworden ist, noch genauer und mit weniger Schaden Eingriffe vorzunehmen. Dazu zählt auch die Entwicklung der Endoskopie. Aber auch die Weiterentwicklung der Diagnostik hat uns neue Chancen eröffnet. Der Höhepunkt, und das ist aber leider auch der letzte Meilenstein in der Entwicklung, ist die Navigation während der Operation, wo ich zu jedem Zeitpunkt des Eingriffs genau weiß, wo ich gerade bin, und sehe, wo ich hinmuss. Diese Technik ist auch bei der Trennung der siamesischen Zwillinge eingesetzt worden.

STANDARD: Hätten Sie Interesse gehabt, an der Operation in Singapur teilzunehmen?

Knosp: Teilzunehmen schon. Ich glaube aber, ich hätte die Entscheidung anders getroffen - nämlich nicht zu operieren. Das Entscheidende ist die Indikation. Wir sind oft in einer Situation, in der wir weniger entscheiden müssen, was wir können, sondern viel mehr, was wir dem Patienten als das Beste für ihn raten sollen. Und manchmal ist das Beste, nicht zu operieren. Oder vielleicht etwas später.

(DER STANDARD; Printausgabe, 9.7.2003)