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Der ägyptische Bestsellerautor und Zahnarzt Alaa al-Aswani.

Foto: EPA/Guido Manuilo

STANDARD: Wie schätzen Sie die aktuellen Ereignisse in Kairo ein?

Al-Aswani: Wir haben einen Präsidenten, der beschlossen hat, sich zum Diktator zu machen. Mit seinem ursprünglichen Verfassungsdekret hat sich Präsident Morsi über das Gesetz gestellt. Ich kann es nicht anders bezeichnen: Es ist das Vorgehen eines Diktators. Selbst nachdem Morsi das Verfassungsdekret zurückgezogen hat, hat er es durch ein neues Dekret ersetzt und zugleich gesagt, dass alle rechtlichen Implikationen und Folgen des ersten Dekrets noch gültig sind. Das ist so, als würde ich zuerst heiraten und dann mich scheiden lassen, aber im Scheidungsvertrag festhalten, dass der Heiratsvertrag noch gültig ist ...

STANDARD: Die Gräben zwischen Muslimbrüdern und ihren Gegnern werden immer tiefer.

Al-Aswani: Die verfassungsgebende Versammlung war vom Gericht aufgelöst worden: Morsi hat sie wieder eingesetzt, um die Mehrheit für die Muslimbrüder zu erhalten. Jetzt hat er mit ebendieser Mehrheit eine Verfassung allein für die Muslimbrüder zusammengeschustert, nicht für ganz Ägypten. Die Verfassung ist illegal. Das Verfassungsreferendum ist illegal, weil es auf illegalen Entscheidungen des Präsidenten beruht. Mit einem Wort: Morsi verwendet dieselben Methoden wie Mubarak.

STANDARD: Was bedeutet das für die Revolution?

Al-Aswani: Wenn ein gewählter Präsident illegale Schritte aneinanderreiht und sich illegaler Mittel bedient, verliert er seine Legitimität. Morsi ist nicht mehr legitim. Doch Ägypten wehrt sich: 80 Prozent der ägyptischen Richter haben sich geweigert, dieses Referendum zu überwachen. Die Revolution wird das Land verteidigen, und wir werden die Revolution verteidigen. Wir sind verpflichtet, weiter für die Demokratie zu kämpfen. 2500 Ägypter haben für die Revolution ihr Leben gelassen, wir werden nicht weichen, bevor wir ihr und unser Ziel erreicht haben.

STANDARD: Trotzdem sitzt Morsi fest im Sattel, unterstützt von einer starken politischen Bewegung.

Al-Aswani: Wir dürfen uns von der Machtfülle des Präsidenten und der Muslimbrüder nicht blenden lassen. Am Tag vor der Revolution war Mubarak einer der mächtigsten Männer dieser Welt, er hatte die Unterstützung der US, Europas, Israels, der Saudis, er verfügte über Armee, Polizei, hatte zwei Millionen Soldaten. Und jetzt sitzt er im Gefängnis. Wir haben geschafft, Mubarak ins Gefängnis zu bringen, da wird Morsi für uns eine einfachere Aufgabe.

STANDARD: Manche Beobachter haben geschrieben, der Verfassungsentwurf sei nicht so schlimm wie befürchtet ausgefallen.

Al-Aswani: Ich verwende eine Metapher: Würden Sie es vorziehen, an Tuberkulose oder Aids zu sterben? Die Verfassung ist katastrophal und bereitet Ägypten für eine religiös-faschistische Diktatur vor. Morsi hat die alleinige Macht, den Obersten Staatsanwalt, die Richter des Obersten Gerichtshofes, den Obersten Finanzrichter zu ernennen. Es gibt kein Rechtsinstrument gegen ihn, außer er begeht Hochverrat - und selbst dann nur, wenn zwei Drittel des Parlaments gegen ihn stimmen.

STANDARD: Sehen Sie denn überhaupt noch eine mögliche Lösung?

Al-Aswani: Wenn Morsi sich an die Gesetze hielte, gäbe es eine Lösung innerhalb und mithilfe der Institutionen. Aber er hat sich übers Gesetz gestellt; also gibt es nur die Straße, mit der Druck ausgeübt werden kann. (Pepe Egger, DER STANDARD, 15./16.12.2012)