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Protest vor einer Starbucks-Filiale in London. Dass Großkonzerne kaum Steuern zahlen, löst im krisen- geschüttelten Großbritannien besonders heftige Proteste aus.

Foto: reuters/LUKE MACGREGOR
Quelle: Management Today, Grafik: Der Standard

Es ist ein Detail, das den meisten in der vorweihnachtlichen Hektik nicht auffällt. Wer seine Geschenke über die deutsche Webseite von Amazon besorgt, kauft eigentlich in Luxemburg ein. Der Konzern verschickt seine Produkte aus seinen Logistikzenten in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien. Doch der Kaufvertrag des Kunden kommt mit der "Amazon EU S.a.r.l." in Luxemburg zustande. Wohin auch immer die CDs und Bücher verschickt werden, seine Gewinne erwirtschaftet Amazon fast ausschließlich in Luxemburg. Dort werden sie besteuert.

Anhörung über Steuermoral

Die Praxis des Onlinehändlers sorgt in Großbritannien derzeit für Empörung. Mitte Oktober hatte die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass die Kaffeehauskette Starbucks auf der Insel seit 15 Jahren so gut wie keine Unternehmenssteuern bezahlt. Die auf den Bericht folgende Protestwelle veranlasste das britische Parlament, eine Anhörung über Steuermoral anzusetzen, zu der neben Starbucks auch Chefs von Google und Amazon geladen wurden. Der vor wenigen Tagen veröffentlichte Abschlussbericht der Abgeordneten liest sich wie eine Abrechnung mit den Praktiken der Multis.

Dass Starbucks trotz eines Marktanteils von 30 Prozent in 14 der 15 Jahre seines Bestehens auf der Insel keine steuerpflichtigen Gewinne, sondern nur Verluste geschrieben hat, sei völlig unglaubwürdig, urteilen die Abgeordneten. Sie gehen davon aus, dass Starbucks seine Verflechtung nutzt, um seinen Gewinn und damit die Steuerlast zu mindern. So zahlt der britische Ableger hohe Lizenzgebühren an die steuerbegünstigte niederländische Niederlassung und kauft seine Kaffeebohnen über den ebenfalls begünstigten Standort in der Schweiz ein. Noch kreativer agiert Google: Obwohl der Konzern 1500 Mitarbeiter in Großbritannien beschäftigt, um die google.uk-Seiten zu betreuen und die eigenen Produkte zu vermarkten, werden die europaweiten Umsätze aus dem Anzeigenverkauf in Irland verbucht.

Immaterielle Vermögenswerte

Google profitiert laut Aussage des Europavizepräsidenten Matt Brittin nicht nur von niedrigen Steuern in Irland. Der Großteil der Konzerneinnahmen entsteht laut Brittin durch immaterielle Vermögenswerte, also durch die Technologie hinter der Suchmaschine. Dieses geistige Eigentum ist über eine Google-Gesellschaft auf der Steueroase Bermudas registriert. Wie die britischen Abgeordneten festhalten, zahlt Google Irland für die Nutzung dieser Rechte, wodurch ein großer Teil des Konzerngewinns in die Steueroase abfließt.

Dass sich Tochtergesellschaften von globalen Konzernen gegenseitig Kosten für Produkte in Rechnung stellen, um damit ihre Abgabenlast zu optimieren, ist weder illegal noch neu. "Doch die Instrumente, mit denen Behörden die Vorgehensweise eindämmen sollen, sind zunehmend veraltet", sagt der britische Steuerexperte Prem Sikka von der Universität Essex. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schreibt vor, dass Unternehmen mit Waren intern nur zu "marktüblichen" Preisen handeln dürfen. Doch für Lizenzen gibt es keine marktüblichen Preise. Für das Internetzeitalter scheinen die Regeln schon gar nicht gemacht zu sein.

Die Branche reagiert auf Fragen genervt. Eine vom STANDARD kontaktierte Amazon-Sprecherin sagt, der Konzern erfülle alle rechtlichen Vorgaben. Jeden weiteren Kommentar lehnt sie ab. Der Sprecher von Google Austria schickt ein identes Statement, kann aber keine Angaben dazu machen, wie viele Steuern Google in Österreich zahlt. Im Finanzministerium in Wien geht man mit dem Thema ebenfalls zurückhaltend um: "Offene Grenzen bedeuten nun mal, dass sie von Konzernen zur Steueroptimierung genutzt werden", heißt es aus dem Amt. Deutschland, Frankreich und Großbritannien dagegen gehen in die Offensive. Sie beauftragten die OECD, die Prinzipien im Unternehmenssteuerrecht zu überprüfen. 2013 sollen Ergebnisse vorliegen. "Es wird darum gehen, künftig wirtschaftliche Tätigkeiten verstärkt dort zu erfassen, wo sie stattfinden", sagt Grace Perez-Navarro, Vizechefin der OECD-Steuerabteilung.

Experten: OECD schaut tatenlos zu

Allerdings halten manche Experten die OECD selbst für Teil des Problems. "Die Organisation, in der viele Steueroasen sitzen, schaut der Abgabenhinterziehung seit Jahrzehnten tatenlos zu", meint der Brite Sikka. Der deutsche Fachmann Markus Meinzer sieht zudem keinen Sinn darin, die Regeln für die konzerninterne Preisverrechnung zu modernisieren: "Das System dient ja nur zur Abgabenhinterziehung."

Die einzige Lösung besteht für Meinzer in einem Vorschlag der EU-Kommission aus dem Jahr 2011, Unternehmen steuerrechtlich als Einheit zu erfassen. Demnach sollen Konzerne eine Steuerbilanz vorlegen, die Zahlungen müssten dann auf alle EU-Länder aufgeteilt werden. Den Vorschlag unterstützt kaum ein Land. "Viele Staaten haben Steuernischen geschaffen, um ausländische Konzerne anzulocken", sagt Meinzer. "Diesen Wettbewerbsvorteil will kaum jemand aufgeben." (András Szigetvari, DER STANDARD, 17.12.2012)