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Auf Empfehlung der WHO haben viele Staaten tonnenweise Tamiflu gebunkert.

Foto: APA/Katie Collins

Tom Jefferson lebt nicht im Elfenbeinturm. Eher im Schützengraben. Gefechte liefert er sich als Wissenschaftler der Cochrane Collaboration, einem internationalen Netzwerk unabhängiger Forscher, mit dem Pharmakonzern Roche. Es geht um die Veröffentlichung von Studiendaten zum Wirkstoff Oseltamivir - bekannt als "Tamiflu". Jefferson und sein Team wollen herausfinden, ob das Medikament, das von vielen Staaten dieser Welt tonnenweise zum Schutz vor einer Influenzapandemie gebunkert wurde, wirklich wirkt.

Doch genau das sei nicht möglich, denn "60 Prozent der Studiendaten wurden bis heute nicht publiziert", betonte er kürzlich bei einem Vortrag am Ludwig-Boltzmann-Institut für Health Technology Assessment in Wien. "Diese Situation können wir nicht länger akzeptieren." Roche habe mehrfach die Offenlegung aller Daten zu Tamiflu versprochen, aber nie eingelöst.

Noch will Jefferson nicht aufgeben. Forscherdrang und Ärger treiben ihn an. Im Jahr 2006 hatte Jefferson nämlich eine Übersichtsarbeit (Cochrane Review) veröffentlicht, die zu dem Schluss kam, dass Oseltamivir nicht nur die Dauer der Grippesymptome um einige Stunden verringert, sondern auch Komplikationen der unteren Atemwege verhindern kann. Ihre Schlussfolgerungen basierten auf zehn Studien, die der Wissenschafter Laurent Kaiser in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst hatte. Diese Ergebnisse hatten weitreichende Folgen: Die WHO empfahl den Nationen dieser Welt, große Mengen Tamiflu auf Vorrat zu lagern.

Nie publiziert

Doch nicht alle trauten diesen Ergebnissen. Der japanische Wissenschaftler Yujiro Hayashi warf dem Cochrane-Team vor, der Kaiser-Studie nicht wirklich auf den Grund gegangen zu sein: "Wie könnt ihr Daten glauben, die ihr nicht selbst gesehen habt?" Jefferson nahm die Forschungsarbeiten erneut auf. Es stellte sich heraus, dass acht der zehn Studien nie veröffentlicht wurden und wichtige Daten zur Methodik nicht zugänglich waren. Alle zehn Studien waren von Roche gesponsert.

Seither kämpft das Cochrane-Team für die Offenlegung der Studiendaten. Selbst die Behörden, die über die Zulassung von Arzneimitteln entscheiden, haben nur einen Bruchteil davon gesehen. Der Streit hat bereits politische Dimension erreicht. Der Europarat behandelte das Thema, und vor zwei Wochen musste der britische Premier David Cameron in einer parlamentarischen Anfrage dazu Stellung nehmen. Selbst der EU-Ombudsmann forderte die Offenlegung aller Daten aus den Zulassungsverfahren ein und hatte damit auch Erfolg.

Roche selbst hat wiederholt die Übermittlung aller Daten angekündigt, allerdings zu Bedingungen, die für die Cochrane-Experten nicht akzeptabel erschienen. Auch die Einladung zur Teilnahme an einer gemeinsamen Task-Force möchte Jefferson nicht annehmen. Er will "eine direkte Brücke zu den Rohdaten". Seiner Ansicht nach sollte "jeder in der Lage sein, Studien nachzuvollziehen". Es gehe um nichts Geringeres als die Freiheit der Wissenschaft und die Sicherheit der Patienten. Der "Fall Tamiflu" sei nur ein aktuelles Beispiel für ein strukturelles Problem: dass Pharmafirmen die Hoheit über Studiendaten haben und sie für unabhängige Überprüfungen nicht zugänglich sind. (Andrea Fried, DER STANDARD, 17.12.2012)