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Symbolbild. Diese Mutter ist sicher kein Kinderwagenrambo.

Foto: apa

Meine Mutter verbringt den Winter und ein Stück Frühling jedes Jahr in Portugal. Dort ist es auch nicht tropisch, aber in neun von zehn Telefonaten mit ihr scheint dort gerade die Sonne und Mama sitzt soeben im Garten beim Essen, während hier in genau demselben Moment der Schneematsch auf der Gasse gefriert, kurz bevor eine klirrende Nacht kommt. Doch es gibt fünf Dinge, die ich noch mehr hasse als den Winter in Wien.

Der Kinderwagenrambo

Selbst jetzt, da ich schon gefühlt tausende Kilometer hinter dem Steuer eines Kinderwagens verbringe, ist es mir noch nie eingefallen, den Kinderwagen mit unserem Sohn darin als Rammbock zu benutzen. Noch ist mir eine Situation eingefallen, die solches Tun rechtfertigt. Dennoch gibt es Eltern, die so etwas routiniert und geplant durchziehen.

Die harmloseste Variante ist der klassische U-Bahn-Türstopper. Je nach Verblödung und Einkommenssituation der Eltern sitzt das Kind dabei in einem Billigcart aus Blechstäbchen oder (selten) in einem Hightech-Multitask-Sport-Trike aus Karbonfaser. Meine zwei Lieblingstrottel sind jedoch ein Ehepaar um die dreißig, die an diesem heißen Sommertag mit ihren drei gehfähigen Kindern und den Zwillingen im Zwillingskinderwagen ein verbrieftes Recht zu haben meinen, selbst dann einen Autobus zu besteigen, wenn er zum Bersten voll ist. Der Mann brüllt einfach in den Bus: "Gehts weg! I foah eich iwa de Zechen! I kumm jetzt eine!" Dann, mit Ausfallschritt, rammt er den ehrlich überraschten Passagieren seine Kinder in die Bäuche, bis alle sieben Mitglieder dieser erfrischend aktivistischen Familie im Bus sind.

Das ist einer der seltenen Augenblicke, die mich zu einem Stoßgebet verleiten. Und es wird erhört. Irgendwo hinten im Bus ruft eine gesichtslose Stimme: "Oaschloooch! Host kaane Gummi dahaam?"

Die Kunst des Selbsthasses

Bis heute vermag mich nichts und niemand davon zu überzeugen, ich bräuchte einen Einkaufszettel. Trotz beinahe täglich wiederkehrender, das Gegenteil beweisender Empirie, deren Folge die mit Genugtuung zelebrierte Schelte meiner Freundin ist. Wenigstens, so denke ich mir dann, hat sie jetzt eine schöne Zeit. Anschließend, wieder auf dem Weg in den Supermarkt, mache ich ein Männerding daraus. Es ist dasselbe wie mit Gebrauchsanweisungen, Beipackzetteln und Weisheiten vom Volksmund: Echte Männer brauchen keine!

Im Sommer 1997 herrscht noch genug Nachkriegschaos in Kroatien, dass es nicht weiter schwierig ist, in Sutivan bei Jure dem Froschmann die mit Fangverbot belegten Steinbohrermuscheln zu kaufen, die man in Dalmatien Prstaći (Fingermuscheln) nennt. Ich koche sie "auf Buzara", meine Freundin und ich stoßen uns die Köpfe über dem Topf und tunken Brot in die Buzara. Die letzte Muschel, die geschlossen auf dem Topfboden liegt, weckt trotz besseren Wissens meine Gier. Ich will sie! Ich nehme und breche sie! Ich schlürfe sie! Meine Freundin sagt folgerichtig den Volksmund nach: "Offene nicht kochen, geschlossene nicht essen." Einige Stunden später, während ich auf die Terrasse kotze, sitzt die Liebe meines Lebens neben mir im Mondschein und tröstet mich: "Ja, ja ... Scheiß auf den Volksmund ..." Dann lacht sie so hell und klar wie damals nach unserem ersten Kuss.

Hut auf und Gas!

Ja, auch ich kenne ihn: den Hutfahrer. Als ich noch ein Auto habe, halte ich automatisch nach ihm Ausschau, weil er im Straßengeschehen noch unberechenbarer ist als sehbehinderte betrunkene Kleinkinder in einem Panzer. Und, so meine These, es hält der Hutfahrer seinen Hut eh für eine Art Helm und sein Auto für unzerstörbar. In meinen Jahren als Autofahrer lerne ich nur, dass man einen Hutfahrer am besten weit hinter sich bringt oder einfach anhält, eine raucht und wartet, bis der Hutfahrer in einem anderen Stadtteil ist.

Die andere Hassgestalt aus meiner Autozeit ist der Parkplatzreservierer. Es gibt ihn zu jeder Jahreszeit, weil er seine Frau auf den anvisierten Parkplatz schickt, bis er die Einbahngasse am richtigen Ende trifft. Wenn Schnee im Spiel ist, werden die freigeschaufelten Parkplätze mit Möbeln, Schnüren und Plakaten reserviert. Wie dieser Tage in Zagreb, wo ein Bewohner auf dem Plakat seiner Reservierung schreibt: "Wer hier parkt, dem fick ich seine Mama!"

Ehrlicher Dieb und moralischer Mörder

Die Brüder nenne ich hier nur A und B, weil sie beide noch auf freiem Fuß sind und B es nach Freispruch aus Mangel an Beweisen auch bleibt. Bei A wird eine Anklage wegen Kriegsverbrechen immer wahrscheinlicher. Man kennt einander aus Kindertagen in Sutivan, als alles nur Meerglitzern und Unschuld ist. Der Bosnienkrieg macht aus B einen Aufsichtsrat in einer Bank und ihn plötzlich reich, kurz bevor die Bank bankrott ist. A hingegen wird blitzartig ranghohe Militärperson, später Politiker und ist jetzt, nach einer Hausdurchsuchung, ein einfacher, unschuldig verfolgter Bürger.

Als A noch nach Kroatien einreisen darf, erklärt er mir sein Kriegsverbrechen zu einem Akt der Notwehr, der eo ipso kein Verbrechen erzeugen könne, sondern Pflicht, Ehre und Notwendigkeit sei. Man wisse sowieso, fügt er noch hinzu, wer die Angreifer und wer die Opfer seien. Sein Bruder B hingegen weiß, warum die bosnische Wirtschaft nicht vom Boden kommt: Mangel an Ehrlichkeit! Laut B ist man in Bosnien nur an schnellem Betrug interessiert statt an langfristiger lohnender Zusammenarbeit mit Investoren aus der EU.

Ich bin kein Turbomoralist. Die Brüder A und B hasse ich nicht. Bloß diesen unendlich dummen Krieg, der aus meinen Kumpeln von damals einen Dieb und einen Mörder macht, die beide das dumme Zeug, das sie reden, verzweifelt glauben wollen.

Ich habe Kabel, also bin ich

Wenn die Eltern meiner Freundin wochenlang im Ferienheim am See verschwinden und einen knackevollen Kühlschrank hinterlassen, nisten wir uns in Hietzing ein und genießen 160 Quadratmeter mit Garten und Wintergarten. Und einem Plasmaschirm, der über Kabel mit 140 Sendern verbunden ist. In Meidling haben wir nicht einmal ein Radio.

Trotzdem es immer genau so ist und nie anders sein wird, bin ich bald ein Couch-Tier mit dem Weinglas in der Linken und der Fernsteuerung in der Rechten. Wohlwissend, dass ich am Ende der Zapperei sowieso gezwungen bin, Mist zu glotzen, den ich mir im echten Leben niemals von einem Torrent auf die Festplatte rippen würde. Wie zum Beispiel gestern "10.000 BC" von Roland Emmerich. Wie gut, dass Großvater Seltsam noch einige Flaschen Rotwein aus Retz im Keller hat.

Ich hab noch einige dieser Sackerln mit dem weißen Gel gegen Sodbrennen. (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 17.12.2012)