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"Gewalt beenden!" - Aktivistinnen protestieren in Ankara gegen häusliche Gewalt und Zwangsehe.

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Die türkische Familien- und Sozialministerin Fatma Sahin (li.) besuchte Wien - hier mit dem österreichischen Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner.

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Wien/Ankara - Trotz eines deutlichen Anstiegs in der Statistik bezeichnet es die türkische Familien- und Sozialministerin Fatma Sahin als "falsches Vorurteil", dass die Gewalt gegen Frauen in der Türkei zunehme. Die Probleme seien nur sichtbarer als zuvor, da die Frauen ihre Rechte vermehrt wahrnehmen würden, sagte die ehemalige Chefin des Frauenverbandes der AK-Partei gegenüber der APA in Wien. Dies führte sie auf Gesetzesänderungen unter der regierenden AK-Partei während des vergangenen Jahrzehnts zurück.

Plus 30 Prozent bei weiblichen Gewaltopfern

Anfang Dezember hatte die Nachrichtenagentur AFP berichtet, dass nach türkischen Behördenangaben die Zahl von Gewaltopfern, die in staatliche Frauenhäuser flohen, in diesem Jahr um etwa 30 Prozent auf knapp 11.000 Frauen gestiegen seien. Fast 140 Frauen wurden in den ersten zehn Monaten des Jahres von ihren Männern, Ex-Männern oder Lebensgefährten getötet, hieß es.

Die vermehrte Nutzung von Rechten durch neue institutionelle Praktiken zur Förderung der Frauenrechte führe in den Statistiken zu höheren Zahlen, erklärte Sahin. Das heiße jedoch nicht, dass die Gewalt per se ansteige. Um das Argument zu untermauern, zeichnete sie statistische Tendenzen aus Wien nach. Auch hier sei die Anzahl an einstweiligen Verfügungen aufgrund von Gewalt gegen Frauen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Trotzdem bedeute dies nicht einen Anstieg von Gewaltdelikten insgesamt, sondern viel eher, dass das Problem gesehen und interveniert werde.

Sahin: "Zahlreiche Errungenschaften"

Es gebe zahlreiche Errungenschaften in Hinblick auf die Rechte der Frau, die unter der derzeit in der Türkei regierenden Partei erreicht wurden, sagte Sahin - die einzige Frau im türkischen Kabinett - sinngemäß. So habe man zur angestrebten Gleichberechtigung rechtliche Grundlagen im Arbeitsrecht, im Strafgesetz und im Zivilgesetzbuch abgeändert sowie Fördermaßnahmen im Arbeitssektor gesetzt. Außerdem habe man zum Artikel 10 der türkischen Verfassung zu Gleichheit von Religion, Geschlechtern und Sprache hinzugefügt, dass eine positive Diskriminierung der Frau diese Gleichheit nicht störe, sondern fördere, sagte sie.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe die Türkei die "am weitesten entwickelte und modernste Gesetzgebung" hinsichtlich der Gleichberechtigung, zeigte sich Sahin überzeugt. Insgesamt habe die türkische Gesellschaft sehr positiv auf die genannten Gesetzesveränderungen reagiert.

Geschlechterfrage im Koran

Im Koran gebe es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, antwortete Sahin auf die Frage, ob der Islam ihrer Meinung nach eher zur Emanzipierung der Frauen oder zur Beschneidung ihrer Rechte beitrage. Im Vordergrund des Islams stehe die Verantwortung des einzelnen Menschen und die Erfüllung der vorgeschriebenen Kriterien - ganz gleich, ob Mann oder Frau. Im Koran seien beide gleich, betonte die Ministerin. Der Islam habe mit seiner Einführung vor rund 1.400 Jahren eine Gleichberechtigung der Geschlechter gebracht und die Diskriminierung der Frau abgeschafft, führte sie aus.

Die türkische Familienministerin hielt sich vergangenen Donnerstag und Freitag in Wien auf. Mit dem österreichischen Sozialminister Rudolf Hundstorfer und dem Minister für Wirtschaft, Familie und Jugend, Reinhold Mitterlehner, unterzeichnete Sahin eine Absichtserklärung über die zukünftigen Kooperation zwischen Österreich und der Türkei zu sozialen Themen wie Zugang zum Arbeitsmarkt, Gleichberechtigung, Frauen und Familie. Sahin traf nach türkischen Angaben auch Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek. (APA, 17.12.2012)