Wien - Alexander Gorgon hat es nicht immer leicht gehabt. Eine hartnäckige Verletzung setzte den Mittelfeldspieler der Wiener Austria einst zwei Jahre außer Gefecht. Um so mehr genießt er nun den Höhenflug seiner Mannschaft. Nach dem beeindruckenden Sieg gegen Sturm Graz sprach er mit Philip Bauer über gute und schlechte Zeiten.
derStandard.at: Ein 3:1-Sieg mit zehn Mann in einem Topspiel. Wahnsinn, oder?
Gorgon: Ein unbeschreibliches Match. Derzeit scheint uns nicht einmal eine frühe Rote Karte aus der Bahn werfen zu können. Jedem war nach dem Ausschluss klar, dass wir uns nicht auf eine Abwehrschlacht einlassen dürfen. Wir wollten weiterhin nach vorne Nadelstiche setzen. Alle haben an den Sieg geglaubt.
derStandard.at: Was wurde in der Pause besprochen?
Gorgon: Wir mussten die taktische Ausrichtung natürlich ein wenig verändern. Etwas tiefer stehen, nicht zu offen sein. Aber uns trotzdem nicht vergessen, also weiter auf Ballbesitz spielen.
derStandard.at: Oft heißt es, mit einem Ausschluss steigt die Laufbereitschaft. Entspricht das der Realität?
Gorgon: Jedem war bewusst, dass er an die Schmerzgrenze gehen muss. Wenn man zudem merkt, dass das Stadion so mitgeht und kocht wie gestern, motiviert das zusätzlich. Der Schiedsrichter hat nach dem Ausschluss auch ein paar strittige Szenen zu unseren Gunsten entschieden. Das ist der Heimvorteil.
derStandard.at: In welchen Bereichen kann man sich nun über den Winter verbessern?
Gorgon: Oft geht es um Kleinigkeiten, taktische Finessen. Gehe ich bei diesem Konter mit oder besser doch nicht? Und natürlich muss man sich Varianten überlegen, die Gegner werden besser auf uns eingestellt sein. Wir wissen, was im Frühjahr auf uns zukommt.
derStandard.at: Apropos Kleinigkeiten: Was ist über den Sommer mit der Mannschaft passiert?
Gorgon: Tja, jetzt könnte man sagen, die haben den Trainer gewechselt und alles ist besser ...
derStandard.at: Ist es so einfach zu erklären?
Gorgon: Nein, natürlich nicht. Philipp Hosiner trifft jetzt wie am Fließband. Hätten wir ihn im Frühjahr gehabt, würde das Publikum jetzt vielleicht Ivica Vastic statt Peter Stöger feiern. Wir können niemandem für die Vorsaison die Schuld in die Schuhe schieben. Wir haben als Mannschaft versagt.
derStandard.at: Und davon für diese Saison wohl profitiert ...
Gorgon: Vielleicht war es Glück im Unglück. Wir spielen nicht europäisch, können uns besser auf die Liga konzentrieren. Rapid ist mit der Doppelbelastung offenbar nicht optimal zurechtgekommen. Aber wo stünden wir, wenn wir in der Europa League gespielt hätten? Schwierig zu beantworten.
derStandard.at: Kaum jemand hat der Austria einen solchen Lauf zugetraut. Haben Sie das für möglich gehalten?
Gorgon: Wir sind vor dieser Saison ins Ungewisse gestartet. Natürlich war denkbar, dass es wie im Frühjahr weitergeht. Peter Stöger hat diese negativen Gedanken aber sofort zur Seite geschoben und jedem Spieler seine Qualitäten in Einzelgesprächen bewusst gemacht. Danach ist das Selbstvertrauen mit jedem Sieg gestiegen.
derStandard.at: Wenn es schlecht läuft, sucht man nach den Ursachen. Wird in guten Phasen weniger analysiert?
Gorgon: Man versucht, alles laufen zu lassen. Wenn alles gut aufgeht, sollte man nicht zu viel darüber nachdenken. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass die Erfolge nicht selbstverständlich sind. Sollte es einmal weniger gut laufen, ist nicht gleich alles schlecht.
derStandard.at: Sehen Sie die Mannschaft also auch für Rückschläge gefestigt?
Gorgon: Ich denke schon. Aber in dieser Saison sind uns noch keine großen Rückschläge passiert, also ist das nicht einfach zu beantworten. Wir haben im Frühjahr gesehen, dass die Zeiten auch weniger rosig sein können. Da ist dann jeder Einzelne gefragt, die Gemeinschaft aus dem Schlamassel herauszuziehen.
derStandard.at: Sie waren kürzlich mit Ihrer Mannschaft zu Besuch im St.-Anna-Kinderspital. Welche Eindrücke konnten Sie von dort mitnehmen?
Gorgon: Zunächst ist es natürlich eine schöne Sache, wenn wir den Kindern dort eine gute Zeit geben können. Außerdem relativiert sich auch für uns einiges. Wenn man sieht, mit welchen Problemen die Kinder konfrontiert sind, erscheinen die eigenen Probleme harmlos. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir jeden Tag auf dem Rasen herumlaufen können.
derStandard.at: Wie wichtig ist Ihnen soziales Engagement abseits der Weihnachtszeit?
Gorgon: Wir sind Sportler, stehen im Fokus und haben vielleicht nicht so viel um die Ohren wie Menschen, die sich von der Früh bis am Abend abschuften. Diese Position sollte man auch ausnützen, um anderen Menschen zu helfen. Es ist eine gute Gelegenheit.
derStandard.at: Als Profisportler hat man es doch auch nicht immer einfach. Oder würden Sie sagen, dass das Leben als Fußballspieler im Vergleich zu anderen Berufsgruppen leicht ist?
Gorgon: Leicht ist es bestimmt nicht. Es steckt mehr dahinter, als man sich als Außenstehender vorstellen kann. Darüber könnten wir Stunden reden. Aber wir haben aus einem Hobby unseren Beruf gemacht, soll man sich darüber beschweren?
derStandard.at: Dennoch sind Sie einem großen öffentlichen Druck ausgesetzt. Kommen Sie damit immer zurecht?
Gorgon: Ich muss. Das erfordert der Beruf. Der Verein, die Fans, die Medien - alle haben eine hohe Erwartungshaltung. Es wird aber dank der wachsenden Erfahrung einfacher, mit dem Leistungsdruck umzugehen. Mit jedem Spiel, mit jeder Saison lernt man dazu.
derStandard.at: Und was lernen Sie unter Trainer Peter Stöger dazu?
Gorgon: Er setzt stark auf die mentale Komponente. Wir haben immer wieder Sitzungen mit einem Mentalcoach, arbeiten dabei spezielle Themen aus. Zum Beispiel: Wie geht man im Spiel mit einem Rückstand um? Wie kann ich vermeiden, ein Spiel voreilig als verloren anzusehen?
derStandard.at: Ist damit auch die Auswärtsstärke der Mannschaft zu erklären?
Gorgon: Man muss gerade auswärts mental stark sein, darf sich von den gegnerischen Fans nicht einschüchtern lassen. Einige Spieler können das in positive Energie umwandeln, die werden durch jeden Pfiff besser.
derStandard.at: Sind Sie auch so einer?
Gorgon: Ich denke schon. Mich pusht das. Wenn du im Hanappi aufwärmst, und du wirst von 15.000 Fans ausgepfiffen, ist das unglaublich motivierend. Dann willst du erst recht zeigen, dass du besser bist. Man will es dem Publikum zu Fleiß machen.
derStandard.at: Spielen Sie also lieber auswärts?
Gorgon: Na ja, bei den Heimspielen weiß ich, wo die Outlinie ist. Da kennt man jeden Grashalm, man fühlt sich wohl. Bei strittigen Situationen hat man das ganze Stadion hinter sich, das beeinflusst dann wiederum den Schiedsrichter.
derStandard.at: Sie waren zwei Jahre verletzt außer Gefecht. Wie ist es Ihnen damals ergangen?
Gorgon: Es war die schwierigste Zeit meiner Karriere. Ich habe nicht mehr gewusst, wie es weitergehen wird. Zunächst hofft man, dass es nach zwei, drei Monaten wieder aufwärts geht. Dann vergingen aber zwei Jahre. Natürlich kommt einem dann der Gedanke, dass es mit dem Comeback gar nicht mehr klappen könnte.
derStandard.at: Welchen alternativen Weg hätten Sie einschlagen können?
Gorgon: Ich habe nach der Stronach-Akademie eine Berufsreifeprüfung zur Absicherung gemacht. Wahrscheinlich wäre ich studieren gegangen. Vielleicht Sportwissenschaften, das wäre naheliegend.
derStandard.at: Wer hat Sie in dieser harten Zeit unterstützt?
Gorgon: Gerade wenn man verletzt ist, entsteht durch die häufigen Fragen nach der Genesung ein gewisser Stress. Die Familie war damals das Wichtigste, bei ihr konnte ich abschalten, mich ablenken. Auch wenn das nach mehreren Monaten gar nicht mehr so einfach war. Aber man merkt, was man an jedem Einzelnen hat.
derStandard.at: Und der Verein?
Gorgon: Es gibt sicher genug Vereine, die einen Spieler, der zwei Jahre verletzt ist, einfach fallen lassen und nicht mehr verlängern. Ich bin der Austria sehr dankbar und probiere das nun zurückzugeben.
derStandard.at: Dient so eine harte Zeit auch als Lebensschule?
Gorgon: So ist es. Die ganzen Erfolge sind schön und gut, aber jeder weiß, dass es nicht immer so laufen muss und kann. Es gehört dazu, dass man sich freut. Und es ist schön zu sehen, dass die Arbeit Früchte trägt. Aber wir alle sollten mit einer gewissen Demut an die Sache herangehen.
derStandard.at: Auch Ihr Name fällt immer wieder, wenn man von möglichen Auslandstransfers hört. Nervt das?
Gorgon: Nein, gar nicht, man fühlt sich geschmeichelt. Meistens erfahre ich es aber selbst aus den Zeitungen. Es ist nichts Konkretes dabei. Aber klar: Mein Ziel ist das Ausland, das gilt wohl für jeden Fußballer in Österreich. Und die Austria ist ein perfektes Sprungbrett. Zunächst muss ich aber meine Leistung bringen. Den Rest lasse ich auf mich zukommen. (Philip Bauer, derStandard.at, 17.12.2012)