Der "Balkan Express" fährt weiter: Nach dem Erfolg der zehnteiligen ORF/3sat-Dokureihe, die 2008 durch Südosteuropa führte, gibt es nun neue Folgen. "Moldawien - Zwischen den Welten" porträtiert ein Land, das als ärmstes Europas gilt, und seinen Kampf um eine eigene Identität zwischen Europa und Russland

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Sie tanzen und singen verkleidet als übergroße Reisepässe in blauem Plastik in London, in Paris, in Wien, in Brüssel. Das Lied "Blue Passports" von der moldawischen Band FurioSnails klingt nach britischem Pop, der viel Spaß macht. Allein wegen den FurioSnails und wegen der Band Zdob si zdub, die auch in Wien Konzertsäle füllt, sollte man mit dem Balkan Express nach Moldawien reisen, die zwischen Rumänien und der Ukraine zusammen gequetschte Heimat von 4,3 Millionen Osteuropäern. Die FurioSnails weisen mit dem Reisepass-Song nicht nur humorvoll auf die Reisebeschränkungen für die Moldawier in der EU hin, sondern auch auf eine andere harte soziale Realität. In den beiden letzten Jahrzehnten sind Hunderttausende Moldawier ausgewandert, um in Italien, Spanien oder Russland Arbeit zu finden.

Viele Kinder wachsen ohne ihre Eltern bei ihren Großeltern auf. Moldawien fehlen die Eltern auch als Gründergeneration, die die Wirtschaft im ehemaligen "Garten der Sowjetunion" wieder aufbaut. Der Balkan Express legt diesmal den Fokus auf soziale und ökonomische Fragen. Vor die Kamera wird etwa ein Bauer geholt, der sich an die Kolchosen mit den Wassermelonen und Kirschgärten erinnert und über die neuen Zeiten beklagt. Der Landwirtschaftsminister, dem auffällt, dass es plötzlich um Qualität und nicht mehr um Quantität geht. Ein Priester, der sich bemüht ein Sozialzentrum aufzubauen und von ausländischen Geldgebern abhängig ist. Aber auch der langjährige kommunistische Präsident Vladimir Voronin, der vor einem kleinen Krokodil posiert, und eine Ahnung davon gibt, wie tief Moldawien noch in der Vergangenheit steckt.

Voronin spricht vom Kampf gegen den Faschismus, als gäbe es diesen Feind tatsächlich noch. Homosexualität verortet er wiederum als eine europäische Idee, die in Moldawien nicht vorkommt. Der Film reißt auch die Grunddilemmata des Staates an. Dazu gehört die Frage der territorialen Integrität: Das Staatsgebiet jenseits des Flusses Dnjestr wird seit 1991 von einem Separatistenregime à la „Fantasypark Sowjetunion" mit Geld aus Moskau beherrscht. Oder die Frage der nationalen Identität: In Moldawien sprechen die Leute Russisch, Rumänisch, Ukrainisch. Manche fordern noch immer den Zusammenschluss mit Rumänien. Die wohl wichtigste offene Frage ist aber jene nach der Zugehörigkeit zu Europa. Bislang hat Moldawien von der EU noch keine klare Perspektive erhalten. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime bleibt das Projekt, den Osten und den Westen zu vereinigen, unvollendet. Die Moldawier mit den blauen Reisepässen illustrieren genau das. "Wir sind die Waisen von Europa", wird der Journalist Oleg Brega im Balkan Express zitiert. Nicht nur die FurioSnails hoffen, dass sich dies bald ändert. (Adelheid Wölfl)