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Logistischer Stress: Mistelzweigküssen will organisiert sein.

Foto: aPA/Ostrop

Pro: Unschlagbar Mixtur

Von Josef Kirchengast

Küssen ist - neben allem anderen - der Gesundheit höchst förderlich. Das haben medizinische Tests erwiesen. Die Mistel ist ein Halbschmarotzer. Das lässt an Geben und Nehmen denken und passt schon allein deshalb zum Kuss. Die Kelten haben sie mit goldenen Sicheln geschnitten, so heilig war sie ihnen. Heute wird ihr Extrakt zur begleitenden Krebstherapie eingesetzt. Tee aus Mistelblättern reguliert den Blutdruck je nach Bedarf - rauf oder runter. Und: wirkt allen Herzschäden entgegen. (!!!)

Assoziationen, die sich aus der Klebrigkeit der Beeren ergeben, können nichts daran ändern (oder sogar noch unterstreichen?), dass sich die Kombination aus Kuss und Mistel als geradezu unübertreffliches Glücksrezept empfiehlt.

Für einen überzeugten Europäer (1) und Demokraten (2) ist Küssen ohnehin erste Bürgerpflicht. Ad 1: "Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt" (Text der EU-Hymne aus Schillers Ode an die Freude). Ad 2: Die Mehrheit der Weltbevölkerung ist bekanntlich weiblich. Wie die Mistel.

Kontra: Absturzgefahr

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Zum Weihnachtsfest mit seinen Idyllen und Streiten unterm Lichterbaum verhält sich das Küssen unterm Mistelzweig wie Halloween zu Allerheiligen: Es ist - in Mitteleuropa - relativ neu, also noch ziemlich ungewohnt und verdoppelt den logistischen Stress an den diesbezüglich ohnehin anstrengenden hohen Feiertagen.

Denn so ein Mistelzweigküssen will erst einmal organisiert werden! Also: Wer schafft die Mistel heran? Und woher so auf die Schnelle? Bis zu den Christbaumverkäufern, die sich in den Städten derzeit an zugigen Ecken die Finger abfrieren, hat sich die potenzielle Sortimentsvergrößerung noch nicht herumgesprochen: ein zusätzlicher Einkaufsweg wird nötig.

Und wer, weil er oder sie vielleicht auf dem Land lebt und mit einem Bauernwaldbesitzer befreundet ist, an Eigenbeschaffung denkt: Das Mistelschneiden hat so seine Tücken, denn im Unterschied zu Nadelbäumen wächst das Immergrün selten in Griffhöhe. Dann gilt: Wer unter Misteln küssen will, dem darf nicht schwindeln. (DER STANDARD, Rondo, 21.12.2012)