Übersteht der Nachwuchs der Gemeinen Strandkrabbe die ersten Phasen seiner Entwicklung, dann ist er aus dem Schneider. In der dritten Stufe der Embryonalentwicklung (im Bild) sind die Nachkommenv erstmals in der Lage, ihren Stoffwechsel der wechselnden Umgebungstemperatur anzupassen.

Foto: Folco Giomi, Alfred-Wegener-Institut

Die Gemeine Strandkrabbe (Carcinus maenas) ist an den Küsten des Mittelmeeres ein vertrauter Anblick. Ursprünglich nur an der Atlantikküste Europas und Nordafrikas beheimatet ist sie mittlerweile weltweit zu finden. Bisher gingen Forscher davon aus, dass der Klimawandel dieser robusten Krabbenart nur wenig anhaben kann. Immerhin ist der Scherenträger, was Temperatur betrifft, nicht wählerisch und fühlt sich im acht Grad kalten Atlantik ebenso wohl wie im 20 Grad warmen Mittelmeer. Eine Studie internationaler Wissenschafter belegt nun jedoch, dass Strandkrabben zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens ausgesprochen empfindlich auf Temperatursprünge reagieren - als Embryo im Ei. Ist der Krabbennachwuchs in seiner ersten Lebensphase zu großer Wärme ausgesetzt, beginnt im Ei eine tödliche Kettenreaktion.

Die Fischer in der Lagune von Venedig fangen Strandkrabben am liebsten kurz nachdem sich die Tiere gehäutet haben. Der neue Panzer der Scherenträger ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgehärtet, das Pulen der Krabben daher ein Kinderspiel. Ein Kilogramm Strandkrabben kostet auf Venedigs Fischmärkten zwischen 60 und 70 Euro. Die Krabben gelten also ohne Weiteres als Delikatesse.

Ob es angesichts des Klimawandels jedoch auch in Zukunft genügend Strandkrabben in der Lagune von Venedig geben wird, darüber hat sich bis vor Kurzem niemand so richtig Gedanken gemacht. Denn Carcinus maenas zeigte sich bisher in Sachen Wohlfühltemperatur ausgesprochen flexibel. Die etwa handteller-großen Krabben leben sowohl an der kalten Atlantikküste Norwegens und Nordamerikas als auch im vergleichsweise warmen Mittelmeer - wobei die Fischer Venedigs der Schwesternart Carcinus aestuarii nachstellen. "Beide Arten sind so eng miteinander verwandt, dass sie sich durchaus auch paaren und gemeinsame Nachkommen zeugen", sagt der italienische Biologe Folco Giomi.

Nachwuchs begleitet Weibchen bei der Futtersuche

Er und Kollegen haben im Zuge eines Gastaufenthaltes am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft untersucht, ob die Mittelmeer-Strandkrabbe Carcinus aestuarii Hitzeperioden wirklich so schadlos übersteht, wie bisher angenommen wurde. Fündig wurde das deutsch-italienische Wissenschafterteam dabei beim Krabbennachwuchs. "Die Weibchen der Mittelmeer-Strandkrabbe legen ihre Eier nicht auf den Grund der Lagune, wo das Wasser vergleichsweise kühl ist", sagt Folco Giomi. Stattdessen tragen die Tiere ihren Nachwuchs in den ersten Tagen auf dem Rücken und nehmen ihn mit zur Futtersuche in das Flachwasser.

Ein heikler Schritt, denn: Erwärmt sich zum Zeitpunkt des Laichens die Mittelmeerregion aufgrund einer Hitzewelle, steigt vor allem die Temperatur des Flachwassers sprunghaft an. "Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass schon ein Anstieg der Wassertemperatur von 16 auf 24 Grad Celsius genügt, um die Embryos in den Eiern in ernsthafte Gefahr zu bringen", erklärt der Wissenschafter. So würden die jungen Krabben versuchen, der Wärme zu trotzen, indem sie ihren Stoffwechsel um das Neunfache beschleunigen. Die Folge: In Windeseile verbrauchen die Tiere alle Energiereserven im Ei. "Unter solchen Bedingungen kann sich der Krabbenembryo nicht normal entwickeln. Er stirbt", sagt Folco Giomi.

Dieses alarmierende Verhalten konnte das Wissenschafterteam allerdings nur bei Embryos nachweisen, die sich in den ersten zwei von vier Entwicklungsphasen befanden. Ein Stadium, in dem der Nachwuchs kaum mehr darstellt als einen Haufen Zellen. "Ab der dritten Entwicklungsstufe gelang es den Embryonen dann, ihren Stoffwechsel abzubremsen und sich wie ein ausgewachsenes Tier auf die gestiegene Umgebungstemperatur einzustellen. Diese Beobachtung war ganz neu für uns und hat uns sehr beeindruckt", erzählt Folco Giomi.

Schlechte Aussichten für Temperaturempfindliche

Die Forscher ziehen aus diesen Forschungsergebnissen zwei Schlussfolgerungen. "Die Studie zeigt zum einen, dass im Zuge des Klimawandels auch jene Arten betroffen sind, die über ein vergleichsweise großes Temperaturfenster verfügen. Dies gilt wohl immer in Gebieten, in denen sie die Grenzen ihrer temperaturabhängigen Verbreitung erreichen", sagt Hans-Otto Pörtner, Leiter der Arbeitsgruppe Integrative Ökophysiologie am Alfred-Wegener-Institut. "Diese Erkenntnis ist wirklich wichtig", fügt Folco Giomi hinzu: "Wenn wir nämlich davon ausgehen müssen, dass in einigen Regionen im Zuge des voranschreitenden Klimawandels selbst temperatur-robuste Arten wie die Strandkrabbe nur noch in kleineren Mengen vorkommen, haben Arten mit einer höheren Temperaturempfindlichkeit noch schlechtere Zukunftsaussichten." (red, derStandard.at, 22.12.2012)