"Man hat gesagt: 'Ihr seid zu bieder, eure Zinsen sind zu hoch, ihr müsst ein bisserl mehr tun, einen Swap zum Beispiel.' Und viele haben das befolgt", sagt Gerhard Lehner.

Foto: derStandard.at/mas

"Es besteht die Gefahr, dass man das Kind mit dem Bade ausschüttet und sagt: 'Keine Fremdwährungen, keine Swaps mehr.' Das wäre schwachsinnig."

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Dass in Salzburg Millionen Euro unauffindbar sind, sei eine Folge der mangelnden Trennung von Buchhaltung und Veranlagung, aber auch ein Problem der mangelnden Kontrolle: Der Rechnungshof hätte genauer hinschauen sollen, meint Fiskalexperte Gerhard Lehner. "Der Rechnungshof deckt Kleinigkeiten auf, aber die wirklich großen Dinge bleiben verborgen", sagt Lehner im derStandard.at-Gespräch.

derStandard.at: Als Kenner der österreichischen Landesfinanzen: Wie überrascht waren Sie am 6. Dezember, als der Salzburger Spekulationsverlust öffentlich wurde? 

Lehner: Ich war überrascht. Ich kenne ja die handelnden Personen, auch die frühere Referatsleiterin Monika R. - wenn Sie mich vor einem Monat zu Salzburg befragt hätten, hätte ich gesagt: Das ist ein Musterland. Salzburg war immer für eine sehr ruhige Finanzpolitik bekannt. Was die Verschuldung betrifft, war Salzburg immer unauffällig. 

derStandard.at: Hunderte Millionen sind unauffindbar. Wie ist das möglich?

Lehner: Das ist schon merkwürdig. Die Buchhaltung muss ja wissen, was hinausgeht und was hineinkommt. Wenn das noch dazu solche Beträge sind, müsste die Buchhaltung Alarm schlagen und sagen: "Moment, die Frau R. macht unmögliche Sachen." Nun hört man aber, dass Monika R. die Berechtigung hatte, Buchungen durchzuführen. Insofern ist Salzburg ein Sonderfall. In anderen Ländern ist die Buchhaltung streng getrennt von der Finanzabteilung. Das könnte ein gewisser Konstruktionsfehler sein. Den gibt es womöglich schon lange - aber bisher hat wohl niemand daran gedacht, dass es zu Spekulationsgeschäften kommen könnte.

derStandard.at: Ist eine Buchhaltung, die nur die Anfangswerte der Veranlagungen erfasst, noch zeitgemäß?

Lehner: Die Länder und der Bund haben eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, da gibt es keine Abschreibungen. Man sollte aber eine Art Ergebnisrechnung einführen, und beim Bund passiert das 2013. Österreich ist dann international gesehen ein Musterland. Wichtig wäre, dass auch die Länder das übernehmen. Das wird ein mühsamer Weg. Aber das ist vielleicht der Vorteil der Salzburger Causa: Bestimmte Dinge werden jetzt ins Rollen kommen.

derStandard.at: Monika R. wird von vielen als außerordentlich kompetent beschrieben. War sie Ihrer Meinung nach auch kompetent genug, die Risiken dieser Veranlagungsprodukte realistisch einzuschätzen? 

Lehner: Ich kenne sie seit einiger Zeit. Monika R. ist ungewöhnlich ehrgeizig. Sie hat sich sicher hineingetigert und hat ein großes Wissen - aber ob das ausreicht, weiß ich nicht. Vielleicht hat sie sich selbst überschätzt.

derStandard.at: Manche meinen, es habe zu Beginn des Jahrtausends einen großen Druck auf Landesregierungen gegeben, nicht so "konservativ" zu veranlagen.

Lehner: Ja, ab 2001 wurde den Ländern und Gemeinden gesagt: "Ihr seid zu bieder, eure Zinsen sind zu hoch, ihr müsst ein bisserl mehr tun, einen Swap zum Beispiel." Auch der Rechnungshof hat das gesagt. Und viele haben das befolgt, eben auch Salzburg. Monika R. wollte wohl den anderen Bundesländern zeigen, dass in Salzburg die Besten sind. Lange Zeit ist das auch gut gegangen. Das Übel hat ja nicht 2001 begonnen, sondern zu dem Zeitpunkt, als es erstmals bergab gegangen ist. Da ist sie in einen Abwärtssog geraten. Sie hätte früher sagen müssen: "Jetzt wird gebeichtet, ich habe einen Verlust von X, wir stellen alles glatt."

derStandard.at: Für wie realistisch halten Sie es, dass Monika R. im Alleingang entschieden hat?

Lehner: Sie hatte ein Pouvoir, das ist unbestritten. Die erste Frage ist: Wie weit ist das Pouvoir gefasst, hat sie es überschritten? Wenn nein, dann wird man ihr nicht einmal Untreue vorwerfen können. Die zweite Frage ist, ob sie Berichtspflichten eingehalten hat. Das wird man klären müssen.

derStandard.at: Der Rechnungshof meint, er sei vom Land Salzburg falsch oder lückenhaft informiert worden.

Lehner: Das ist ärgerlich. Jeder kleine Unternehmer, der steuerlich geprüft wird, legt nicht alles offen, belügt den Betriebsprüfer hinten und vorne - ist ja logisch. Es ist die Aufgabe des Betriebsprüfers, dem Unternehmer nachzuweisen, dass er lügt oder etwas unter den Tisch fallen lässt. 

derStandard.at: Landesrechnungshofchef Manfred Müller sagt, der Rechnungshof sei "kein Wirtschaftsprüfer".

Lehner: Na was denn sonst?

derStandard.at: Ist der Rechnungshof säumig?

Lehner: Nein, er ist sogar sehr fleißig. Er sollte nur auch einmal zugeben, dass er Fehler macht. Aber er hat es verstanden, sich in eine Unfehlbarkeitsposition zu bringen. Wenn der Rechnungshof heute sagt "Zwei mal zwei ist fünf", dann schreibt das jeder Journalist. Der Rechnungshof deckt Kleinigkeiten auf, Geburtstagstorten um 13.000 Euro. Aber die wirklich großen Dinge bleiben verborgen. Weil der Rechnungshof sie nicht sieht.

derStandard.at: Sind Sie für ein Spekulationsverbot?

Lehner: Das Ziel war von Anfang an, die Zinsbelastung für das Land zu minimieren. Da überlegt man: Fremdwährungskredite oder Eurokredite? In dem Moment, wo man sich das überlegt, spekuliert man schon. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob man das mit Frankenkrediten oder isländischen Anleihen macht.

derStandard.at: Was ist die Lehre aus der Salzburger Causa?

Lehner: Es besteht die Gefahr, dass man jetzt das Kind mit dem Bade ausschüttet und sagt: "Keine Fremdwährungen mehr, überhaupt keine Swaps mehr." Das halte ich für schwachsinnig. Man müsste die Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA) stärken. Solche Derivativ- und Swap-Geschäfte sollten nur noch über die ÖBFA gemacht werden dürfen. Das heißt: Nicht das einzelne Land macht die Geschäfte, sondern die ÖBFA macht es für das jeweilige Land. Außerdem sollten in Zukunft auch die Gemeinden Geld bei der ÖBFA aufnehmen dürfen. Was mit dem Geld dann passiert, ist natürlich Länder- beziehungsweise Gemeindesache.

derStandard.at: Sollten die einzelnen Länder keine Derivativgeschäfte mehr abschließen dürfen?

Lehner: Das muss man diskutieren. Ich würde diese Geschäfte der ÖBFA geben. Ich sehe nicht ein, warum das die Länder selbst machen müssen - dafür brauchen sie Leute, die sich auskennen müssen. (Maria Sterkl, derStandard.at, 20.12.2012)