Bryan Ferry schont seine Kräfte und lässt alte Hits von Jazzern neu auf alt einspielen.

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Goethe nannte das Klassische das Gesunde und das Romantische das Kranke. In seiner im Jahr 2000 erschienenen und aufgrund einer durch den Kapitalismus und seiner dazugehörigen Gier bedingten konsumatistischen Sucht zum gesellschaftlich alles niederwalzenden und alles verdeckenden Kitsch viel zu wenig beachteten Streitschrift, nein, Empörung Zur Romantik gelangt der zumindest verbal definitiv nicht zur Bürgerlichkeit neigende ostdeutsche Schriftsteller Peter Hacks zudem zu einer rein physiologischen Definition der Romantik. Er hält diesbezüglich sowohl einen ethischen Defekt als auch eine Hirnschwäche für möglich. Das ist nicht nichts!

Peter Hacks: "Das ist, wofür wir die Romantik fürchten. Das erste Auftreten der Romantik in einem Land ist wie Salpeter in einem Haus, Läuse auf einem Kind oder der Mantel von Heiner Müller am Garderobenhaken eines Vorzimmers. Ein von der Romantik befallenes Land sollte die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen."

Gleich werden wir bei Bryan Ferry sein, vorher lesen wir noch ein wenig weiter. "Was hat es mit dem romantischen Jugendlichkeitswahn auf sich? Die Zeit nach 1900 zeigt, dass von der Jugend oft nicht mehr verlangt wird als die Senkung der insgesamten Hirntätigkeit in einer Gesellschaft. Jugend muss nicht wohlhabend sein, um gelobt zu werden. Oft genügt, dass sie nicht klug ist." Sensationell!

Der britische Sänger Bryan Ferry dürfte sich beim 2003 verstorbenen Peter Hacks zeitlebens wohl kein Fach in dessen Herz ersungen haben. Immerhin trifft auf den ehemaligen Sänger der Götterband Roxy Music jedes Klischee zu, das mit Romantik, Schwelgerei, Dickauftragen und gefühlsmäßig bedingtem Dilettantismus verbunden ist - inklusive der Frage, ob zettbe nach 20 Uhr ein blauer Samtanzug erlaubt ist, wenn man dafür eh eine Krawatte umhat und nur zum Burlesque-Clubbing beim Wirt um die Ecke geht.

Was sich jahrzehntelang angekündigt und zuletzt auf der gar nicht einmal so gelungenen Ferry-Solo-CD As Time Goes By angekündigt hat, ist nun zum milden Albtraum gewachsen. Weil die Stimme wie bei vielen großen Alten nicht ab 60 Richtung Keller zu Leonard Cohen, sondern in die Höhe zu, hm, Scott Walker geht, verzichtet Bryan Ferry anlässlich seines 40-jährigen Bühnenjubiläums sowohl auf eine neue Arbeit, die sein viriles Walten in der Welt dokumentieren soll.

Wobei, unter uns gesagt, Olympia neulich mit Kate Moss auf dem Cover zwar kitschy und hochglänzend und so voll auf Sehnsucht zitternd, aber sonst eher nicht so toll war. Und Ferry erhöht auf dem neuen Album The Jazz Age die Arbeitsverweigerung hin zum reinen Kuratorentum.

Bryan Ferry singt nicht! Er tut nichts und bezahlt Jazzmucker dafür, im Studio mit Klarinette und Kontrabass und Beserlschlagzeug alte Roxy-Music- und Sololieder neu einzuspielen. Weil das sozusagen alles Klassiker sind - wir sprechen von Virginia Plain, Do The Strand, Love Is The Drug, meinetwegen auch noch Schulterpolstersakkoklassiker aus der Miami-Vice-Ära wie Avalon oder Slave To Love - bekommt diese Patina den Stücken außerordentlich gut.

Es klingt, wie wenn die Bands von Louis Armstrong oder Duke Ellington zu dessen Cotton-Club-Zeiten Bryan Ferry für sich entdeckt hätten. Die Musik kommt dabei aus dem Trichter. Ein Trichter verengt sich. Dahinter lauert ein schwarzes Loch. Romantik ist böse. Dixieland ist schlecht. Schöne Bescherung. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 21.11.2012)