Austin Wrights "Tony & Susan", übersetzt von Sabine Roth.

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Das hört sich nicht weiters spektakulär an. Name: Austin Wright. 1922 in Yonkers, New York, geboren; 2003 in einem Vorort von Cincinnati gestorben. Von 1970 bis 1993 Professor für Englische Literatur am McMicken College of Arts and Sciences der University of Cincinnati. Ausgezeichnet mit dem Mrs. AB "Dolly" Cohen Award und dem George Rieveschl Jr. Award, beide verliehen für Exzellenz in Lehre und wissenschaftliches Forschen. 52 Jahre lang verheiratet. Drei Töchter. Sieben Romane, die ersten drei davon experimentell, hochgepriesen und kaum gelesen. Und mehrere akademische Untersuchungen, darunter eine 320 Seiten lang, Titel: "Formal Principle in the Novel", das formale Prinzip des Romans. Und eine Studie über William Faulkners Als ich im Sterben lag, in der die Textinterpretation fiktive Professoren und Studenten erledigen.

Und ebendiese Elemente, komplexe Romanarchitektonik und das Verspielte, spielen in Wrights viertem Roman Tony & Susan eine zentral spektakuläre Rolle. 1993 erstmals erschienen, wurde er 2010 von Atlantic Books in London neu aufgelegt - und ein Erfolg. Angepriesen wurde das Buch in einem Atemzug mit Zeiten des Aufruhrs von Richard Yates (1926-1992). Die Hölle namens Suburbia und Lebensfrustration, Öde und Verzweiflung, das Versanden der Träume in einem "Zeitalter der Angst" (Stewart O'Nan): All das findet sich auch bei Wright. Doch anders verpackt. Als Buch-im-Buch.

Susan Morrow, Hausfrau und Aushilfslehrerin an einem Junior College, Mutter dreier Kinder, verheiratet mit einem erbarmungslos virilen affärenaffinen Chirurgen, mit dem sie das Leben, aus Notwehr, als stillen Waffenstillstand lebt, erhält ein Manuskript. Überrascht ist sie von diesem Roman, denn er stammt von ihrem ersten Ehemann Edward, von dem sie sich 25 Jahre zuvor getrennt hatte. Er wollte unbedingt Dichter werden, sein Talent reichte aber gerade einmal für ranziges Selbstmitleid. Nun bittet er sie um ihr Urteil über die Geschichte, die er, später Journalist, dann Dozent, mittlerweile Versicherungsagent, zu Papier gebracht hat.

Im Mittelpunkt steht Tony Hastings, ein Mathematikprofessor aus Ohio, der mit Frau und Teenagertochter mit dem Auto zu ihrem Sommerhaus in Maine unterwegs ist. Nachts werden sie auf einer abgelegenen Straße in Pennsylvania von einem anderen Fahrzeug gerammt. Sie halten an, und Tony muss, panisch hilflos, mitansehen, wie die drei Unfallverursacher sie überfallen, Frau und Tochter entführen, ihn übertölpeln und im Wald aussetzen. Er irrt hilflos herum und kann erst einen Tag später die Polizei kontaktieren. Deren Suche mündet in einem grausigen Fund. Beide Frauen wurden vergewaltigt und ermordet. Tony fällt in ein schwarzes Loch der Depression, der Trauer, des Leerlaufs.

Die polizeiliche Suche ergibt einiges, Tony aber ist nicht fähig, eventuelle Verdächtige zu identifizieren. Im dritten Teil schließlich, ein Jahr später, ergibt sich eine heiße Spur; und in einem recht furiosen Showdown stellt Tony, der passive rationale Kopfmensch, als heißblütiger Rächer den Haupttäter namens Ray Marcus, tötet ihn bei einem Gerangel in einem Trailer, wird selber verletzt und geblendet. Als die Polizei eintrifft, versucht er, blind, wie er ist, sich zu verstecken, löst bei einer Bewegung unglücklich die Pistole aus, mit der er Ray erschoss, und verblutet schließlich an der Bauchwunde.

Doch Wright belässt es nicht bei einer psychologischen Studie über Inaktivität, Verlust und Trauer, die am Schluss etwas zu stark ins Kriminalistische abgleitet (inklusive krebskranken Ermittlers). Wieso aber heißt das Buch über das Buch-im-Buch nun Tony & Susan, begegnen sich doch Susan und Tony nur indirekt? Regelmäßig schiebt Wright Kommentare Susans ein, ihre Einschätzungen des gerade gelesenen Kapitels, die Erinnerungen an ihre Zeit mit Edward, den Nachbarssohn, den ihre Eltern als Vollwaise ein Jahr lang bei sich aufnahmen, dem sie dann an der Universität wiederbegegnete, wie ihre Liebe begann und was daraus wurde, Langeweile und Gleichgültigkeit.

Wieso hat Edward ihr nun sein Manuskript geschickt? Verbergen sich Anspielungen auf sie darin, Chiffren alter aufgeflackerter Zuneigung? Oder spiegelt sich in Tonys Lebensleere nicht zugleich ihr seit langem routiniertes Abspulen des Alltags?

Es braucht weder die großspurig daherkommende Verlagswerbung noch die auf dem Schutzumschlag abgedruckten hektischen Lobpreisungen eines Ian McEwan ("Großartig. Schockierend. Außergewöhnlich") oder einer Donna Leon, um zu konstatieren: Dies ist ein subtiles, abgefeimtes Romankammerspiel, in dessen Zentrum ein Kreis traumfressender Leere rotiert.

Austin Wright, erinnerte sich seine Tochter Katharine, war vom Spielen und Aufzeichnen besessen. Als er im Sterben lag, verwirrten Geistes - die Ärzte vermuteten die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, was sich später nicht verifizieren ließ -, gab er auf die Frage, ob er sie erkenne, ob er wisse, wer sie sei, in einem letzten klaren Augenblick zur Antwort: " Du. Bist. Erfunden." (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 22./23.12.2012)