Politische und künstlerische Proteste gegen die Ungarische Kunst-Akademie.

Foto: Herwig G. Höller

Ein großes Interesse an einer gestaltenden Kulturpolitik war Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán zuletzt nicht nachgesagt worden: Kultur ressortiert in einem winzigen Staatssekretariat des Ministeriums für menschliche Ressourcen, das zudem für Gesundheit, Soziales, Bildung und Sport zuständig ist. In der Kultur fiel man durch drastische Einsparungen auf, und sporadisch wünschten sich Ungarns Mächtige Ausstellungen: Die Nationalgalerie zeigt bis 2. Jänner noch "Helden, Könige und Heilige". Diese patriotische Schau, so hieß es zur Eröffnung, sei "Ausdruck des Respekts für die neue Verfassung".

Just in diesem von Orbán initiierten Grundgesetz, das mit 1. Jänner 2012 in Kraft trat, schlummerte eine kulturpolitische Zeitbombe. Denn der Verfassungstext nennt als einzige Kulturinstitution die Ungarische Kunst-Akademie (MMA), einen 1992 im Freundeskreis gegründeten Verein mit knapp 200 Mitgliedern. Zuletzt hatte sich diese Institution als regierungsnaher Gegenpol zu einer international orientierten Kunstszene positioniert und wurde wohl auch deshalb für höhere Weihen vorbereitet: Noch 2011 beschloss das Parlament ein Gesetz, das die "Akademie" de facto in ein staatliches Organ verwandelt. Für ihren Präsidenten, den 80-jährigen Innenarchitekten György Fekete, sind Ministerprivilegien vorgesehen.

Übernahme der Kunsthalle

Bis vor wenigen Wochen hatte die kritische Öffentlichkeit davon kaum Notiz genommen. Erst als Ressourcenminister Zoltán Balog erklärte, dass die "Akademie" die traditionsreiche Budapester Kunsthalle (Mucsarnok) übernehme und zudem die wichtigste staatliche Kultursubventionsstelle kontrolliere werde, wurde die Tragweite der neuen Gesetze verstanden: Ein patriotischer und fragwürdig legitimierter Altherrenverein, dessen Mitglieder im Durchschnitt 70 Jahre alt sind, wird zum bestimmenden Faktor der ungarischen Kulturpolitik. MMA wird künftig Subventionen verteilen, kann staatliche Kunstinstitutionen auflösen und entmachtet das Kulturstaatssekretariat weitgehend.

"Ich hatte damit gerechnet, dass in der Regierung ein paar vernünftige Menschen sitzen, die das verhindern können", sagt József Mélyi, Vorsitzender der Ungarn-Sektion des internationalen Kunstkritikerverbandes AICA. Wie MMA, der auch der konservative Theatermacher und frisch designierte Intendant des Ungarischen Nationaltheaters Attila Vidnyánszky angehört, ideologisch tickt, war zuletzt sehr deutlich geworden. In einem Interview hatte Präsident György Fekete erklärt, dass eine "eindeutig nationale Gesinnung" eine der Grundbedingungen für die Mitgliedschaft sei.

Die konkreten Auswirkungen von Fekete und seinen Akademikern auf die zeitgenössische Kunst lassen sich unschwer erahnen. Im Herbst hatte Kunsthallen-Chef Gábor Gulyás, selbst ein konservativer Intellektueller und in der Kunstszene nicht unumstritten, eine pluralistische Ausstellung mit dem Titel "Was ist ungarisch?" gezeigt.

Durchgebrannte Sicherungen

Unter anderem war hier ein Video des aus Serbien stammenden Bálint Szombathy zu sehen, in dem er sich an der serbisch-ungarischen Grenze auf die Toilette begibt, um den Inhalt des zu verlassenden Landes rechtzeitig wieder loszuwerden. In der Akademie seien bei dieser Ausstellung die Sicherungen durchgebrannt, sagte Fekete. Nachdem die Übernahme der Kunsthalle durch Feketes Verein bekannt worden war, kündigte Gulyás Ende November.

Aber auch in der kritischen Kunstszene gärt der Protest. Vergangene Woche stürmten Aktivisten der Gruppe "Szabad Müvészek" ("Freie Künstler" ) eine MMA-Versammlung und forderten deren Mitglieder zum Austritt auf. Eine Handvoll "Akademiker", darunter der prominente Maler Imre Bukta, folgten dem Aufruf. Und in dieser Woche gingen Künstler gemeinsam mit Studenten und Lehrern auf die Straße: In einer Massendemonstration vor dem Ministerium für menschliche Ressourcen, wo Studenten und Lehrer gegen bedrohliche Einschnitte auftraten, forderten Vertreter der Kunst, dass die Entscheidungen über die Akademie zurückgenommen werden.

Bereits zuvor hatte die pseudopatriotische Konzeptkunstgruppe "Stiftung für nationale Kunst" (NMA) künstlerisch reagiert. Im Rahmen ihrer Reihe " Nationale Kulturgedächtnisstätten" zündeten die Künstler vor der Kunsthalle Kerzen an - als Erinnerung an eine große nationale Institution, die nunmehr verloren scheint. (Herwig G. Höller, DER STANDARD, 22./23.12.2012)