Weihnachten wird gefeiert, weil vor etwas mehr als 2000 Jahren im Nahen Osten ein Kind geboren wurde, das sich später zum Gründer der größten der fünf Weltreligionen, des Christentums mit heute 2,1 Milliarden Anhängern, entwickelte.

Wenig ins zeitgenössische Bewusstsein gedrungen ist die Tatsache, dass das Christentum in seinem Ursprungs- und anfänglichen Ausbreitungsgebiet im Nahen Osten in teilweise sehr großer Gefahr ist. Das liegt zum Teil an der Zerstrittenheit und Eifersüchtelei der verschiedenen christlichen Denominationen - wie jeder weiß, der jemals in der Jerusalemer Grabeskirche die Auseinandersetzungen zwischen der griechisch-orthodoxen, der römisch-katholischen Kirche, der armenisch-apostolischen Kirche, der syrisch-orthodoxen, den Kopten und den Äthiopisch-Orthodoxen mitbekommen hat.

In wirklicher Gefahr sind jedoch die christlichen Kirchen des Nahen Ostens durch die Entwicklung in den Staaten der Region. Das internationale katholische Hilfswerk "Kirche in Not" machte kürzlich im Europäischen Parlament darauf aufmerksam. Besonders die jüngste Entwicklung in Ägypten, dessen Bevölkerung zu etwa zehn Prozent aus christlichen Kopten besteht, ist alarmierend. Abgesehen von Brandanschlägen und Gewalttätigkeit gegen die Kopten entwickelt sich Ägypten mehr und mehr zu einem islamistischen Staat. Der Entwurf für eine Verfassung erwähnt nicht nur die Scharia als Quelle der Rechtsprechung (das tat auch die alte Verfassung), sie legt auch die besondere Rolle der Al-Azhar-Universität in der Interpretation des Rechtes sowie eine Einschränkung der Schenkungen zugunsten religiöser Gemeinschaften fest und hebt die Garantie auf, dass Minderheiten vor Diskriminierung und Umsiedlung geschützt werden. Die regierenden Muslimbrüder geben sich zwar moderat, stehen aber ihrerseits unter Druck der radikalen Salafisten.

Im Bürgerkriegsland Syrien drohen die christlichen Gemeinschaften, die sich (überwiegend aus Furcht vor einer islamischen Mehrheit) um Assad geschart haben, unter die Räder zu kommen, im Irak und im Libanon ist vielen der Druck zu groß geworden, und sie haben das Land verlassen. In der Türkei gibt es nur noch ein paar tausend Christen, und trotz diverser Gesten der regierenden gemäßigt islamischen Partei ist eine wirkliche Religionsfreiheit für die Christen nur sehr eingeschränkt gegeben. Israel verhält sich zu den christlichen Arabern in seinem Herrschaftsbereich eher unfreundlich: So wurde versucht, die Erklärung der Geburtskirche in Bethlehem zum Weltkulturerbe zu blockieren.

Wie immer man zum Christentum steht: Es gehört derzeit zu den am meisten verfolgten Religionsgemeinschaften, mit besonderer Betonung des Nahen Ostens. Die Kopten führen sich auf den Evangelisten Markus zurück, der Apostel Paulus - von vielen als eigentlicher Ausformulierer der christlichen Religion betrachtet - missionierte in Kleinasien, der heutigen Türkei. Es handelt sich um eine uralte Kulturtradition, die nicht aus dem Gebiet ihrer Entstehung verschwinden sollte. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 22.12.2012)