Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl besuchte 2009 Jerusalems Kirjat Mattersdorf.

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Dessen junge Generation kann nicht nur zurückschauen auf den Friedhof von Mattersburg.

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Peter Menasse: "Rede an uns". 107 S., 14,90 Euro, edition a, Wien 2012

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Wien - Ein schmales Büchlein hat unlängst für einige Aufregung gesorgt in der jüdischen Gemeinde. Auf rund 100 Seiten spitzt Peter Menasse da einen länger schon schwelenden Disput zu einer Brandrede. In dieser Rede an uns fordert er, die Opferrolle endlich abzulegen und damit den Blick der jungen Juden nach vorn freizugeben. "Die Shoah ist Geschichte. Sie hat keinen Bezug zur Gegenwart der jungen Generation." Mehr noch: Das Wort Opfer verstünden die Jungen als Schimpfwort.

Was gestern notwendig gewesen sei, laufe nun Gefahr, zum Ewiggestrigen zu werden. "Die Gedenkprofis bewegen sich in einem geschlossenen System, in dem einer den anderen, der andere den einen in der Richtigkeit seiner Vorgangsweise bestärkt."

"Stolpersteine"

Während Peter Menasse also fordert, die Shoah quasi zu historisieren, gibt es unter den Gojim, der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung, immer mehr Initiativen, die sich zum Ziel setzen, die einstige jüdische Präsenz, das Tür-an-Tür sozusagen, öffentlich zu markieren. Lokalisierung des Erinnerns: Die "Stolpersteine" gehören mittlerweile ja zu den Stadtbildern in Deutschland und Österreich:

Im Burgenland - das nicht nur eine reiche, sondern auch eigene orthodoxe jüdische Vergangenheit hat - ist das hochaktuell. Unabhängig voneinander haben sich in Deutschkreutz (auf hebräisch Zelem), Frauenkirchen und Mattersburg Menschen gefunden, welche die jüdische Vergangenheit unübersehbar machen, sie zurückholen wollen in die Lokalgeschichte.

Judengasse

Seit dem Sommer steht etwa in Deutschkreutz eine schlichte Metallskulptur, auf deren Rückseite auch ein Ortsplan des alten Zelem zu finden ist. Die Skulptur steht vorm Haus, in dem der Komponist Carl Goldmark aufgewachsen ist, schräg vis à vis der Gemeinde. Initiator Michael Feyer, mit seinem legendären "Ma pitom" einer der Väter des Wiener Bermudadreiecks, hatte ursprünglich einen weniger zentralen Ort im Kopf. "Aber der Bürgermeister hat gemeint, das gehört dorthin, in die Hauptstraße, die einstige Judengasse."

In Mattersburg - einst das religiöse Zentrum der "sheva kehilot", der unter Esterházy-Herrschaft stehenden "heiligen sieben Gemeinden" - heißt die Judengasse noch Judengasse. Dort, wo sie beginnt, ist eine Bushaltestelle. Dafür, dass die dort wartenden Kinder der Schulstadt auch wissen, warum diese Gasse Judengasse heißt, will Gertraud Tometich sorgen. Im kommenden Frühjahr erscheint ihr Buch über das jüdische Mattersburg. Und eine um Tometich gebildete Gruppe will das jüdische Erbe nun auch ins Stadtbild stellen. "Das jüdische Mattersburg ist als Kirjat Mattersdorf ja auch Gegenwart. Hier aber ist ein wichtiger Teil der Heimatkunde. Das nicht zu vergessen, sind wir unseren Kindern schuldig." Im Moment ist man da noch in der Konzeptphase.

Weiter ist man in Frauenkirchen. Dort wird im kommenden Jahr - es jähren sich zum 75. Mal Anschluss und Vertreibung - ein "Garten der Erinnerung" jenes jüdische Frauenkirchen markieren, das der Obmann des diesbezüglichen Vereins, der Historiker Herbert Brettl, penibel schon nachgezeichnet und publiziert hat.

Phantomschmerzen

So ein "Garten der Erinnerung" und Peter Menasses Streitschrift mögen diametral ausschauen. In Wahrheit sind sie wohl komplementär. Die Juden, so Menasse, sollen die zunehmend anachronistisch werdende Shoahbezüglichkeit beenden; aus Rücksicht auf sich selbst. Die pannonischen Gojim suchen dagegen offensichtlich eine Therapie gegen Phantomschmerzen, die man gerade im einst so üppigen jüdischen Burgenland verspürt. Auch das eigennützig.

Mit "Schlussstrich" hat weder das eine, noch das andere zu tun. Ganz im Gegenteil. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 27.12.2012)