Hüben die Schwarzen, drüben die Roten: Seit der Trennung von Niederösterreich und Wien sind die politischen Grenzen klar gezogen.

Foto: Standard/Newald
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Wien / St. Pölten - 1922 gab es vor dem Gesetz noch keine Scheidungen. Aber dass es Trennungen gibt, denen ein Anfang innewohnt, das war gewissermaßen ein politisches Lebensthema von Albert Sever (1867-1942). Er war nicht nur jener Landeshauptmann von Niederösterreich und Wien, unter dessen Regentschaft die Trennung der beiden Bundesländer beschlossen wurde; er ermöglichte auch die Wiederverheiratung von (katholischen) Ex-Eheleuten. Die sogenannte Sever-Ehe war zwar juristisch umstritten, gab es aber bis 1938, als die Nazis die zivile Ehe einführten.

Sever war Sozialdemokrat aus Ottakring, Vorsitzender der damals mitgliederstärksten Bezirksorganisation. Mit der Trennung von Wien und Niederösterreich war es auch mit der SP-Regentschaft im blau-gelben Land vorbei. Diese politische Zerrissenheit, ein Abbild der extremen Heterogenität der Bevölkerung im Osten Österreichs, war ein wesentlicher Grund für die Trennung. Auf die drängte vor allem der Bauernbund, der einen roten Landeschef nicht verkraften konnte.

Trennung mit Hoffnung

Mit dem 1. Jänner 1922 trat schließlich das Trennungsgesetz in Kraft. Hans Ströbitzer, langjähriger Chefredakteur der Niederösterreichischen Nachrichten und Buchautor, hat sich durch die Sitzungsprotokolle gewühlt. Dort fand er unter anderem eine Rede eines Abgeordneten, in der dieser die Hoffnung äußerte, dass die Trennung von Stadt und Land zu einem besseren Verhältnis von Wien und Niederösterreich führen würde.

Durch das Auseinanderdividieren der Mega-Region - Wien hatte Anfang der 1920er-Jahre fast zwei Millionen Einwohner, Niederösterreich etwa 1,4 Millionen - wurden auch die politischen Verhältnisse evident. Mit Ausnahme der Unterbrechung durch das Nazi-Regime regierten hüben ausschließlich Sozialdemokraten, drüben ausschließlich Christlich-Soziale. Allerdings fehlte Niederösterreich plötzlich das Zentrum, regiert wurde das Land weiterhin von der Wiener Herrengasse aus.

Das sollte bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts so bleiben. Es war Landeshauptmann Siegfried Ludwig, der in der schwelenden Hauptstadt-Frage eine Entscheidung herbeiführte - mit dem Slogan "Ein Land ohne Hauptstadt ist wie ein Gulasch ohne Saft" kampagnisierte er für eine Volksbefragung. 56 Prozent der Niederösterreicher stimmten dafür, 45 Prozent davon für St. Pölten, das sich unter anderem gegen Krems durchsetzte; von einer breiten Mehrheit getragen war die Entscheidung also nicht gerade, dementsprechend skeptisch waren die Niederösterreicher, was die Umsetzung betraf. Hans Ströbitzer erinnert sich im Gespräch mit dem Standard an ein Bonmot, das in der Neo-Hauptstadt kursierte: St. Pölten werde das Brasília Niederösterreichs. In der künstlich geschaffenen Hauptstadt Brasiliens lag gut 30 Jahre lang ein Grundstein im Dschungel, bevor die Stadt schließlich gebaut wurde.

In St. Pölten ging das etwas schneller, und das lag nicht zuletzt daran, dass 1992 ein Landeshauptmann ins Amt kam, der sich profilieren musste. Erwin Pröll wurde noch in der Wiener Herrengasse angelobt, bis 1996 übersiedelte die komplette Verwaltung in das St. Pöltner Satellitenviertel.

Viele Landesregierer und -mitarbeiter wohnen nach wie vor in Wien, wenngleich nicht alle das gern zugeben. Die Nähe zur Bundeshauptstadt - seit der Eröffnung der neuen Westbahnstrecke sind es mit dem Zug gerade einmal 25 Minuten - ist für St. Pölten Fluch und Segen zugleich; einerseits ist man dort am politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Puls, wohnt aber günstiger und grüner als in Wien. Andererseits hält dies die Stadt an der Traisen in manchen Bereichen davon ab, sich ein eigenes Profil zuzulegen. Hauptstadtbewohner Ströbitzer findet dennoch, dass St. Pölten eine gute Entwicklung durchgemacht hat, und nicht zuletzt "hat das Landes-Bewusstsein durch die eigene Landeshauptstadt einen ordentlichen Schub bekommen".

Bei aller Eigenständigkeit: In vielen politischen Fragen sind Wien und Niederösterreich schon aufgrund ihrer Geografie nicht auseinanderzudividieren. Jeder vierte berufstätige Niederösterreicher pendelt nach Wien, auch in die andere Richtung staut es zu den Stoßzeiten. Wechselseitig nutzen die Menschen Krankenhäuser und Kindergärten, sie brauchen Parkplätze und Öffis. der Standard beschreibt daher in den nächsten Tagen in einer Serie die Beziehungen der beiden Länder, die sachpolitisch oft alles andere als einfach sind.

Dabei pochen besonders die Chefs auf ihre guten Beziehungen. Da wirft sich Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SP), der sonst das Rurale nicht gar so schätzt, schon einmal in den Trachtenjanker, um mit Erwin Pröll publikumswirksam Beziehungspflege zu betreiben. Gern vermitteln die beiden das Bild der hemdsärmeligen Macher, die sich bei einem Achterl ausschnapsen, was in der Republik zu passieren hat.

Wechselseitiges Lob

Dem Format gaben sie vor der Nationalratswahl 2008 eines ihrer raren Doppelinterviews. "Eine Zusammenarbeit muss von Achtung und Respekt getragen sein", sagte Häupl damals, "niemand mischt sich in die Bereiche des anderen ein, spielt den Besserwisser oder wirkt belehrend." Und Pröll sekundierte: "Diese Achse ist uns heilig, die steht über viel parteipolitischem Zank und Hader. Bevor wir uns darauf einlassen, verzichten wir eher auf ein öffentliches Wort oder eine Schlagzeile."

Für Schlagzeilen sorgen die beiden hauptsächlich, wenn sie gegen die eigene Bundespartei ausrücken. Gleichzeitig kämpfen sie vehement um die eigene Machtbasis. Während Häupl seit 2010 einen Koalitionspartner zum Regieren braucht, wird Pröll bei der Landtagswahl am 3. März 2013 alles in die Waagschale werfen, um das zu verhindern. Beide sind alles andere als politikmüde; Häupl liebäugelt mit einer Wieder-Kandidatur 2015, und Pröll antwortete kürzlich auf die Frage, ob er noch eine volle Legislaturperiode absolvieren werde, er sei nicht für halbe Sachen zu haben. Die wilde Ehe der beiden könnte also noch eine Weile halten. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 27.12.2012)