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Das Glücksgefühl des Siegers: Biologielehrer Alexis Jenni nach Erhalt des Prix Goncourt 2011 für seinen Roman.

Foto: Reuters/Tessiers

Wien - Der Held in dem Roman Die französische Kunst des Krieges ist wenigstens dem Namen nach ein Sieger. Victorien Salagnon übersetzt in der Schule Caesars Bellum Gallicum. Frankreich erlebt die Jahre seiner bittersten Schmach: Die Deutschen halten das Land besetzt. Der greise Marschall Pétain predigt seinen Landsleuten das Stillhalten. Salagnons Ausbildung zum Soldaten ist ein fließender Prozess. Er besucht Jugendlager, deren Teilnehmer in kurzen Hosen Holz schlichten.

Irgendwann übernimmt die Résistance die Aufsicht über die Unmündigen. Burschen wie Victorien werden praktisch über Nacht zu Soldaten. Sie schießen auf deutsche Tigerpanzer. Nur alliierte Flugzeuge können die Kettenungetüme in Brand schießen. Victorien wirft einen bangen Blick in einen zerstörten Panzer hinein. Was er zu erkennen meint, entzieht sich jeder Beschreibung.

Die französische Kunst des Krieges, das literarische Debüt des Biologielehrers Alexis Jenni, ist ein merkwürdiger Abgesang auf Frankreichs Rang als Weltmacht. Als Entwicklungsroman ist die Geschichte des zähen Südfranzosen Salagnon eine bittere Verlustanzeige. Als Berufssoldat klappert er die kolonialen Besitzungen in Übersee ab. Der Krieg in Indochina macht aus schwitzenden Europäern Rasende, die ihre Gewalt unterschiedslos gegen Partisanen und Zivilisten richten.

Der dicke, hübsch verzahnt erzählte Roman ist natürlich kein aufgeblähtes Landserheft. Er erzählt von der Kampagne zur Rettung Französisch-Algeriens. Leute wie Salagnon stecken in Fallschirmjägeruniformen. Sie waten bis zu den Knöcheln im Blut der Araber, die sie systematisch foltern. Sie richten nichts aus, schleppen aber die "koloniale Fäulnis" nach Frankreich ein.

Debüt bei Gallimard

Die neuen Kriegsschauplätze sind in der heutigen Banlieue zu finden: in den Vororten mit den hohen Ausländeranteilen. Gegen die Massen der Einwanderer vereinen sich Veteranen und junge Schläger in illegalen Wehrverbänden. Für Die französische Kunst des Krieges erhielt Jenni, ein bekennder "Sonntagsschreiber", 2011 den Prix Goncourt zuerkannt. Sein Manuskript hatte er eher zufällig an das Verlagshaus Gallimard geschickt.

In der Goncourt-Jury saß übrigens Autorenkollege Patrick Rambaud. Dessen Hauptwerk heißt Die Schlacht und schildert das Scharmützel von Aspern nahe Wien, als dem für unbesiegbar geltenden Napoleon 1809 von den Österreichern eine - nicht weiter kriegswichtige - Niederlage zugefügt wurde.

Auch Rambauds Prosa atmet die nämliche Begeisterung für die schmutzigen Seiten des institutionalisierten Tötungsgeschäfts. Seitenlang werden kaputtgeschossene Gliedmaßen amputiert. Jenni gibt sich weitaus öfter mit Andeutungen zufrieden. Trotzdem wird man den Verdacht nicht los, dass die postmoderne französische Literatur in ihre bellizistische Phase eingetreten ist.

Als Salagnons Spiegelbild fungiert ein junger, namenloser Zeitgenosse. Dieses Sprachrohr des allwissenden Erzählers lässt sich von dem alternden Kriegshelden in der Kunst des Tuschezeichnens unterweisen. Auf den schmalen Schultern dieser Figur lastet allerdings auch die ganze Mühsal der Erklärung. Es zeigt sich sofort, dass nicht jeder Autor der Schnoddrigkeit von Michel Houellebecq das Wasser (respektive den Whiskey) reichen kann.

Jennis Pappkamerad knüpft an Salagnons Lebensgeschichte langwierige Erörterungen. Aus der Asche von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kratzt er die neurotischen Ideen einer verängstigten Gesellschaft zusammen.

Die Abwehr aller Andersartigen fußt auf dem Konzept der "Ähnlichkeit". Ähnlichkeit ist ein untauglicher Begriff, dem in Wirklichkeit nichts entspricht. Oder, wie Jenni schreibt: "Die Rasse ist ein substanzloser Gedanke, der auf unserer unersättlichen Gier nach Ähnlichkeit beruht." Nicht minder rätselhaft verhält es sich mit dem "Blut".

Aus Die französische Kunst des Krieges wird nicht recht ersichtlich, wohin die Reise der modernen europäischen Einwanderungsgesellschaften gehen soll. Unbehaglich stimmt jedoch die Vehemenz, mit der dem Krieg - in all seinen asymmetrischen Formen - noch im Nachhinein die oberste Priorität als kulturbildende Kraft eingeräumt wird. Insofern ist Jenni ein wichtiges Buch geglückt, das man darum noch nicht als geglückt bezeichnen möchte.   (Ronald Pohl, DER STANDARD, 28.12.012)