Wo in der Nacht noch die Zelte des "Refugee Camp" standen, herrscht jetzt Leere.

Foto: derStandard.at/mm

Matratzenlager mit Tee: 31 Personen befinden sich im Hungerstreik. Wie es mit den Asylwerberprotesten nun weitergehen soll, ist unklar.

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Die schweren Haupttore der Votivkirche bewegen sich keinen Spalt. Draußen stehen Touristen, die sich das Innere des bekannten Sakralbaus ansehen wollen, aber nicht wissen, warum sie nicht hinein dürfen. Neben ihnen warten einige politische Aktivisten, die den Grund kennen, aber nicht verstehen, warum sie draußen im Regen stehen sollen.

Nach der polizeilichen Räumung des Zeltlagers, das Asylwerber Ende November im Sigmund-Freud-Park vor der Kirche errichtet hatten, ist die Situation verfahren. Die Pfarre hat die Eingangstüren der Votivkirche an allen Flügeln verriegelt, nur Rettungskräfte, NGO-Vertreter und Journalisten dürfen noch zu den rund dreißig Asylwerbern, die seit vergangener Woche den Dom besetzen. Zwei weitere Flüchtlinge sind erst Freitag früh vor der Polizeirazzia geflohen und zu ihnen gestoßen.

"Die haben den Rasen kaputt gemacht"

"Zwei Millionen hat uns das Spektakel gekostet, die Asylanten haben den ganzen Rasen kaputt gemacht. Wir werden die Verantwortlichen verklagen", sagt eine vorbeikommende ältere Frau vor den Kirchentoren und deutet auf die gelben Flecken am Rasen des Sigmund-Freud-Parks. Die Touristen schauen verdutzt, die Aktivisten lassen sich auf eine hitzige Diskussion ein.

Auch im Inneren der Kirche ist die Spannung aufgeladen. Kameraleute halten auf das Matratzenlager, das die Asylwerber im südwestlichen Seitenschiff aufgeschlagen haben. Neben ihnen diskutieren Aktivisten, Verantwortliche der Kirche und NGO-Sprecher, wie es nun weitergehen soll. Ehe sich die Herren zu einer Art spontanem Asylgipfel zurückziehen, ist das nämlich alles andere als klar. Auch Caritas-Direktor Michael Landau ist anzusehen, dass er für die Sachlage keine simple Lösung kennt.

Interesse an Beendigung

Unter den Asylwerbern und Aktivisten herrscht indessen Rätseln über den Hintergrund der Räumung in den frühen Morgenstunden. "Wir haben nicht damit gerechnet. Aber im Nachhinein kann man sagen, dass es sich angekündigt hat. Die Polizei ist schon letzte Woche immer wieder aufgetaucht und hat Psychospiele gemacht", sagt Asylwerber Nebojsa. Laut offizieller Aussendung der Exekutive wurde das Zeltcamp geräumt, "da keine wie immer geartete Erlaubnis der Stadt Wien vorlag und sämtliche Versuche, die Verantwortlichen zu einem selbständigen Abbau des Zeltlagers und Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes zu bewegen, im Sand verliefen."

Plötzlich gehen die Tore auf, Sanitäter kommen mit zwei Fahrtragen herein. Am Tag vor Weihnachten sind die ersten Asylwerber in Hungerstreik getreten. Heute verweigern 31 Menschen die Nahrungsaufnahme, um für ihre Sache einzustehen. Ihre Namen haben sie mit rotem Filzstift auf einen Papierbogen geschrieben und auf einer Säule angeschlagen; ihre Gesichter wirken erschöpft, niemandem kommt ein Lächeln über die Lippen.

Moment mit historischem Potenzial

"Die Leute erzählen absurde Lügen, dass wir Berufsdemonstranten sind, die die Asylwerber instrumentalisieren und ihnen sogar ausreden, während des Hungerstreiks Tee zu trinken", sagt M., die ihren Namen nicht gern im Internet veröffentlicht sehen will. Sie bezeichnet sich selbst als Zivilistin, die sich für die Rechte der Asylwerber einsetzt.

Im Widerstand der Asylwerber erkennt die Aktivistin geschichtsträchtiges Potenzial: "Es ist ein historischer Moment in Österreich. Es ist das erste Mal, dass sich Asylwerber selbst artikulieren. Es gibt erstmals selbst organisierte Proteste", so M.

Artikuliert und infantilisiert

Bisher sei es immer so gewesen, dass Arme und Schwache als Opfer in Österreich gerade noch geduldet wurden, sagt M: "Sobald sie aber zu sprechen und sich zu artikulieren beginnen, herrscht Krieg. Und genau an diesem Moment befinden wir uns jetzt." Wenn man die Menschen nicht sprechen lasse, würden sie infantilisiert. "Das ist der eigentliche Skandal."

"Eines möchte ich noch sagen", wirft Nebojsa ein, "wir werden immer wieder als Extremisten hingestellt. Aber das sind wir nicht. Wir haben eine Liste mit 2000 Unterschriften, auch von vielen Prominenten. Sind die alle Extremisten? Die Universität Wien unterstützt uns. Ist sie auch extremistisch? Wir alle wollen nur ein menschenwürdiges Leben. Und noch sind wir stark." (Michael Matzenberger, derStandard.at, 28.12.2012)