Als Johannes Kaup, Redakteur und Producer bei Ö1 für Religion, Wissenschaft, Bildung, den Renner-Preis erhielt, vermisste er seine Chefs im Publikum. Dabei richtete er, der "Indianer", seine Dankrede insbesondere auch an die "Häuptlinge". Sie wollte er auf ein "fundamentales Strukturproblem" im ORF hinweisen. Ihnen "Traurigkeit und Ärger" mitteilen, "wie manche Dinge in unserem Unternehmen schief laufen".

Und weil er Alexander Wrabetz, Richard Grasl, Karl Amon und all den anderen Häuptlingen auch einen guten Rat für 2013 mitgab: Hier seine Rede hier im Volltext auf derStandard.at/Etat:

"Meine Sg. Damen und Herren ! Herzlichen Dank an die Jury - sie hatten es angesichts der Nominierten sehr schwer. 

Oscar Wilde sagte einmal: "Heutzutage kennen die Leute von allem den Preis und von nichts den Wert."

Wir Journalisten arbeiten für Werte und nicht für Preise: Dass etwas, das einen Wert hat, auch einen Preis bekommt, ist erfreulich und selten. Ich weiß, dass auch jene Kolleginnen die heute keinen Preis zuerkannt haben, ebenso Wertvolles und Preiswürdiges leisten. Daher eine Einladung an Judit Brandner und Brigitte Voykowitsch zu einem gepflegten Essen in einem Restaurant eurer Wahl im neuen Jahr.
Ich danke dem ORF und seiner Geschäftsführung, die die Freiheit ermöglichen, solche Sendungen zu machen. Ich bin stolz für den ORF insofern er eine unverzichtbare Plattform für einen freien demokratischen Diskurs über wichtige Lebens- und Zukunftsfragen darstellt. Danke!

Wenn sie sich das Organigramm des ORF ansehen, dann werden sie mich darin gar nicht finden. Ich bin keine große Nummer, habe keine wichtige Stellung und ein Einkommen, das gerade für den Lebensunterhalt reicht. Morgen schon könnte ich meinen Job verlieren und von jemand anderem ersetzt werden und nur wenigen würde das auffallen. Das ist das Schicksal von Indianern, im Unterschied zu Häuptlingen, Medizinmännern und den Ältesten. Mit dem „Dr. Karl Renner Publizistik Preis" haben sie heute einen Indianer ausgezeichnet. Aber nach Weihnachten ist das schon Schnee von gestern.
Journalistische Indianer haben aber einen entscheidenden Vorteil: Sie haben die Füße am Boden und den Kopf im Himmel. Sie hören das Gras in der Gesellschaft wachsen und riechen schon von weitem, wenn etwas faul ist. Sie sind Fährtenleser für jene Personen und Bewegungen, die im hochkomplexen scheinbar undurchdringlichen Gestrüpp des Krisen-Status Quo schon weiter voran gegangen sind und einen neuen Weg gefunden haben. Kurz: Indianer sehen, hören, riechen und spüren was läuft - was dennoch für die meisten unsichtbar bleibt. Wenn Häuptlinge und der Ältestenrat nicht auf die eigenen Kundschafter hören und einfach drauflos galoppieren, ist es wahrscheinlich, dass der ganze Stamm bald vor einem tiefen Abgrund steht oder in einem aussichtslosen Kampf gegen eine feindliche Übermacht viele Angehörige verliert.

Als Indianischer Kundschafter erfüllt es mich mit Traurigkeit und Ärger, wie manche Dinge in unserem Unternehmen schief laufen - und zwar ohne Not. Ich möchte das nicht deshalb ansprechen, um in den Chor jener einzustimmen, die aus eigennützigen ökonomischen Gründen diesem Unternehmen Schaden zufügen wollen. Nein, diese Haltung ist durchschaubar und niederträchtig. Ich stehe zum ORF und spreche aus Loyalität zum ORF. Diesen medialen Indianerstamm gibt es, weil er aus wertvollen Einzelindividuen gebaut ist, die zusammen etwas Größeres schaffen. Ich spreche also aus Loyalität zu vielen meiner Stammesmitglieder, die wie ich wiederholt den Eindruck bekommen haben, nicht gehört zu werden. Ich möchte dabei heute nicht auf umstrittene Personalentscheidungen eingehen, sondern auf ein fundamentales Strukturproblem. 

Daraus nur ein kleines Beispiel: Im Haushaltsbudget des ORF sind 1 Million Euro für die Frauenförderung vorgesehen. Wichtiger als eine Frauenförderung braucht unser Unternehmen dringlich eine Mitarbeiterförderung. Ich meine damit speziell jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - und das sind einige Hundert - die unter prekären Beschäftigungsbedingungen arbeiten. Bei schlechter Bezahlung und mit zahllosen unbezahlten Überstunden produzieren sie den Mehrwert, auf den der ORF in Hochglanz-Public Value-Broschüren zu Recht stolz ist. 

Die freien Mitarbeiter und die vielen Teilzeit-Angestellten wie u.a. ich, sind überwiegend - zu etwa 75 Prozent - weibliche Mitarbeiterinnen. Mein Appell an Generaldirektor Alexander Wrabetz und den ORF-Stiftungsrat ist daher: Bitte strukturieren sie das Jahres-Budget 2013 so um, dass es zukunftsfähig ist: Zukunftsfähigkeit bedeutet nicht nur Wirtschaftlichkeit, sondern auch Leistungsgerechtigkeit und nachhaltig gerechte Rahmenbedingungen für alle, und besonders für die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind es nämlich, die Tag für Tag leidenschaftlich, unermüdlich, selbstausbeuterisch, unter Zeitdruck und dennoch kreativ die Grundlagen für die Existenzberechtigung des ORF als öffentlich-rechtlichen Unternehmens schaffen. 

Was ich als indigener Fährtenleser sehe, ist nicht neu, und gilt keineswegs nur für den ORF, sondern auch für andere Medien-Stämme. Aber wird es wirklich ernst genommen?
Medien sind große Erzählmaschinen. Sie reden pausenlos. Sie schreiben, zeigen und veröffentlichen ohne Unterbrechung. Sie können nicht aufhören. Und zwar im Doppelsinn. Sie hören deshalb auch nicht auf das, was sich ihrem groben Raster des jetzt scheinbar jetzt Interessanten, Aktuellen und Unterhaltsamen wiedersetzt. Sie sind strikt gegenwartbesessen und übersehen dadurch oft das Wesentliche unserer Zeit oder gehen daran achselzuckend vorbei.

Deshalb hat die Zunft der Journalisten auch einen zwiespältigen Ruf. Beispiele gefällig? 

Gilbert Keith Chesterton: „Journalismus besteht hauptsächlich darin, Leuten zu erzählen "Lord Jones ist gestorben", die vorher nicht einmal wussten, dass Lord Jones überhaupt je gelebt hat." Karl Kraus: „Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können - das macht den Journalisten." Mark Twain meinte: „Erst einmal die Fakten sammeln, dann kannst du sie verdrehen, wie es dir passt." Und Anton Kuh sekundiere resignativ: „Sie wissen nicht wo Gott wohnt, aber sie haben in alle schon interviewt". 

Sie sehen: Schon vor hundert Jahren hatten Journalisten keinen allzu guten Ruf, auch wenn sich in der Zwischenzeit sehr viel in der Medienlandschaft verändert hat. Auch heute sind viele Bürger enttäuscht von dem, was ihnen Journalisten bieten. Einer repräsentativen Umfrage zufolge durchgeführt von der Kommunikationswissenschaftlichen Fakultät der Universität Dresden, vertrauen nur 35 Prozent der Bürgerinnen und Bürger den Journalisten. In Österreich werden die Zahlen vermutlich noch geringer sein. 

Medien haben ursprünglich den Anspruch zu informieren, zu bilden und zu orientieren. Tatsächlich sind heute offene Gesellschaften ohne an Aufklärung und Kontrolle der Mächtigen interessierten Medien undenkbar, trotz und gerade weil die neuen Medien hier Informationsmehrwert zur Verfügung stellen. Sie alle wissen, wie unterschiedlich Medien diese Rolle wahrnehmen. Das zeigt nicht nur das Beispiel Italien. Die aus Südtirol stammende Journalistin Lilly Gruber wurde als RAI-Moderatorin zu einer der prominentesten Kritikerinnen des ehemaligen Regierungschefs und Medienmoguls Silvio Berlusconi. Von ihr stammt der richtungsweisende Satz: „Journalisten haben die Aufgabe die Wachhunde des Bürgers zu sein und nicht die Schoßhunde der Mächtigen". 

Viele Leitmedien haben sich in ihrem Selbstverständnis in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt: Von der 4.Macht des Staates, die informiert, aufklärt, kontrolliert und bildet, haben sie sich tendenziell in Richtung von Unternehmen entwickelt, die ihr Hauptaugenmerk auf die Erwirtschaftung von Profiten legen. Medien als Wirtschaftsunternehmen stellen so den Selbsterhalt und das Wachstum vor ihre eigentliche Aufgabe des Dienstes am Gemeinwohl der Gesellschaft. Berichtet wird, was sich auch als Geschäft ausweisen lässt. 

Daher die Quoten- und Auflagenorientierung. Daher auch die Diskussion, ob sie nicht eher Bremser gesellschaftlich notwendiger Wandlungsprozesse sind, als dessen Förderer. Damit ist nichts gegen eine gesunde wirtschaftliche Basis oder Breitenwirkung gesagt. Die ist auch notwendig. Aber die Wachstumskriterien dazu haben sich eindeutig zulasten eines Qualitätsjournalismus in Richtung eines Promotion-, Kampagnen-, und Infotainment-Journalismus verschoben. 

Unser Land braucht also kompetente Journalisten. Was ist Kompetenz: („competere" - zusammentreffen, ausreichen, zu etwas fähig sein). Es bedeutet Vermögen. Fähigkeit, Zuständigkeit. 

Journalistische Kompetenz ist eine Frage des Sachverstandes in bestimmten Fachbereichen, der Recherche, des mutigen Engagements, des Bewusstseins über die Vermittlungsverantwortung gegenüber der Öffentlichkeit. Es ist eine Frage der Fähigkeit Fakten in ihrer Bedeutung zu gewichten, des „sense of urgency", des Gespürs für die Dringlichkeit" und umgedreht auch der Fähigkeit zur Gelassenheit (also ein Gespür für die Relativität bzw. Nachrangigkeit von so genannten aktuellen Themen).

Heute leben wir in einer Sinn-Gesellschaft, einer Gesellschaft auf der Suche. Darin gibt es aber auch viele Menschen, die zunehmend verunsichert sind über die eigenen Werte. Sie haben Angst vor dem sozialen Abstieg und der Zukunft insgesamt. Im Streben nach Sicherheit bleibt zunehmend ihre Freiheit auf der Strecke. Dabei spielen klassische sowie auch neue Medien eine positive wie auch negative Rolle. 

Wir brauchen Medienmacher, denen die fragile Balance zwischen Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden ein Herzensanliegen ihrer Journalistischen Motivation ist. Journalisten, die deshalb Licht auf den Schatten werfen und das Schattenhafte ans Licht holen. Wir brauchen Journalisten, die sowohl das zeigen, was schief läuft, wie auch das, was sich in der Gegenwart bereits an Positivem vorbereitet. Journalisten, die sowohl gegen die Beharrungskräfte der Angst und Entmutigung, wie auch gegen die Mächte der Verdrängung und Verschleierung immun sind. Journalisten, die einen großen Dialog-Raum schaffen für das, was sich tatsächlich in der Gesellschaft abspielt, Journalisten, die wesentliche Gespräche über Visionen einer lebenswerten Gesellschaft in Gang setzen. 

Diese Visionen fehlen der Politik. Sie erstickt in schnelllebig-kurzfristiger Aktualitätsbearbeitung, Klientelbefriedigung und Parteiräson. Sie schielt auf Umfragen und lässt sich von externen Beratern und Spin-Doktoren briefen. Aber es fehlt ihr längst schon die unmittelbare Rückkoppelung zu dem was Bürgerinnen und Bürger tatsächlich denken, wünschen und wollen. Würde sie innovative Instrumente der demokratischen Partizipation zulassen, wie z.B. den Bürgerinnenrat oder intelligente direktdemokratische Prozesse fördern, wären die Politiker überrascht, klüger und mutiger. Und die Bürger wären zufriedener mit der Demokratie, weil sie dann das Gefühl haben, dass ihr Engagement einen Unterschied macht. Hier spielen die Medien als Plattformen und Motoren des Neuen eine unverzichtbare Rolle.
Als Indianer, der aktiver Teil dieser Gesellschaft ist, sehe ich also eine Großbaustelle in Sachen Partizipation, Transparenz und Demokratiereform. Einigen Journalistenkollegen sei daher ins das Wort des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein ins Stammbuch geschrieben: „Nennen Sie mir ein Land, in dem Journalisten und Politiker sich vertragen, und ich sage Ihnen, da ist keine Demokratie."

Es braucht engagierte Journalisten. Engagement heißt für den Journalisten im Grunde: Seinen Job wirklich mit Herz und Hirn tun. Es bedeutet, zu hören und dafür Sorge zu tragen, was wichtig und relevant ist für die Demokratie. Dabei geht es in erster Linie eben nicht darum, was die Menschen lesen, hören und sehen wollen, sondern im Sinne der Aufklärung darum, was sie lesen, hören und sehen sollen. Nicht im Sinne einer elitären Bevormundung, sondern im Sinne einer befreienden Selbstermächtigung. Das bedeutet eine hohe Verantwortung. Denn Journalisten sind Stellvertreter, Torwächter, kritische Vermittler, Gastgeber - oder wie es Armin Wolf gesagt hat - Kuratoren von gesellschaftlichen Problemen. Sie sorgen sich um Themen und Aspekte, die von der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, der Bildungssystem und der Religion entweder nicht, oder einseitig und unzureichend wahrgenommen werden. 

Rudolf Augstein, der Herausgeber des „Spiegel" schrieb einmal: "Ein leidenschaftlicher Journalist kann kaum einen Artikel schreiben, ohne im Unterbewusstsein die Wirklichkeit ändern zu wollen."

Ich könnte Ihnen jetzt weiter Großbaustellen nennen, z.B. Aufklärung über die wahren Hintergründe der sogenannten Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der Staatsverschuldung; oder die von Politik und Leitmedien gebetsmühlenartig wiederholte, aber kurzsichtige Wachstumsorientierung, oder die Herausforderung eines integralen Verstehens des Krisenzusammenhangs im Bereich Wirtschaft, Ökologie und Gesellschaft. 

ABER - und das ist jetzt nicht kokett gemeint: ich bin nicht so wichtig. Ich bin „nur" ein Indianer. Wichtig ist, dass Sie sich für diese Dinge heute und auch morgen interessieren. Wichtig ist, dass sie von Medien und Journalisten verlangen, dass diese Themen in der Tiefe diskutiert werden. Wichtig ist, dass ihnen das auch etwas wert ist. Ihre Aufmerksamkeit und ihr Engagement entscheiden darüber ob Qualitätsmedien Zukunft haben und nicht nur das: Wir brauchen eine neue Allianz für den Wandel zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Diese "Change agents", die Agenten des Wandels sind überall zu finden: in der Zivilgesellschaft, in den Medien, in der Wissenschaft, im Bildungsbereich, in der Kultur, in der Religion, In der Wirtschaft und auch in der Politik. Ein guter Wandel braucht intelligente und leidenschaftliche Ko-Kreation. Dann könnte aus einer Zeit der Krisen der Anfang einer zukunftsfähigen, wirklich enkeltauglichen Gesellschaft werden.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit !" (red, derStandard.at, 1.1.2013)