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Die Vor- und Nachteile der Sichtbarkeit von Arbeit: Sichtbarkeit bringt Lob und Anerkennung, aber auch Kontrolle.

Foto: Reuters/Adorno

Wer sich ins Zeug legt und durch Leistung glänzt, will zur Kenntnis genommen werden und erwartet Lob und Anerkennung. Doch ganz so eindeutig stellt sich die Sache nicht dar. "Sichtbarkeit in Bezug auf Leistung ist durchaus ambivalent. Sie ist auch ein Problem in der Arbeit", sagt der Arbeitsmarktforscher Stephan Voswinkel vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Nicht nur dass verschiedene Leistungsbestandteile, die eine Arbeit ausmachen, unterschiedlich sichtbar zu machen seien, auch Veränderungen der Arbeitswelt führten dazu, dass die Sichtbarkeit von Arbeit und Leistung differenziert gesehen werden müsse. Welche Erkenntnisse führen zu diesem Hinweis?

Zunächst die grundsätzliche Tatsache, dass es in allen Organisationen und arbeitsteiligen Prozessen Tätigkeiten gibt, die sozusagen unsichtbar im Schatten der allgemeinen Aufmerksamkeit stattfinden. Routinearbeiten beispielsweise, die das Ganze am Laufen halten, aber keine besondere Aufmerksamkeit hervorrufen. Wie viele Chefs merken erst dann, dass sie ein wie geschmiert funktionierendes Sekretariat haben, wenn "die Ölkanne" , die wie selbstverständlich reibungs- und anspruchslos funktionierende Sekretärin, einmal ausfällt?

Auch werden Arbeiten sozusagen aus dem Blickfeld gelöscht, die entfernt von dem Bereich stattfinden, der als Zentrum einer Organisation und ihres Leistungsangebots gilt. Voswinkel: "Wenn zum Beispiel in westlichen Gesellschaften die Vorstellung einer Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft dominiert, so wird dieses Selbstbild eben auch dadurch möglich, dass Produktionstätigkeiten im Prozess der Globalisierung in den Wertschöpfungsketten nach hinten, in entfernte Regionen gerückt werden", was ihnen aber, vergleichbar mit der Sekretärin, nichts von ihrer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Ganzen nimmt.

Arbeitsgestaltung & -steuerung

Auf der anderen Seite aber unterliegt Arbeit auch ständiger Beobachtung, um sie zu bewerten. Sei es im Hinblick auf Bezahlung, auf Prestige oder Karriere. Deshalb gäbe es auch gute Gründe für die Arbeitenden, ihre Arbeit in gewissem Maße unsichtbar zu halten. Unsichtbarkeit von Arbeit könne dann auch eine Ressource für Anerkennung und für Autonomie darstellen. Sichtbarkeit hingegen wäre so eher eine Bedrohung für beides, eine Problematik, die ein zentraler Bestandteil der Rationalisierung von Arbeit und der Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern war und ist.

Die Anforderungen der Arbeit sichtbar zu machen, die Leistungspotenziale, Arbeitskniffe und das "tacit knowledge", das geheime Wissen der Arbeitenden, aufzudecken ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts Programm tayloristischer Rationalisierung und bis heute Problem und Ziel der Arbeitsgestaltung und -steuerung, was wiederum das Bestreben erklärt und verständlich macht, für die Arbeitsausführung notwendige Erfahrungen und Informationen für sich zu behalten, um sich weniger ersetzbar zu machen.

Doch dieses Bemühen speist sich, wie Voswinkel herausfand, "noch aus einer anderen Quelle, dem Wunsch, Autonomie in der Arbeit zu behalten", sei somit auch ein Element intrinsischer Arbeitsmotivation, der Motivation aus eigenem Antrieb und professioneller Orientierung. Wer sich seines professionellen Werts bewusst sei, der werde sich missachtet und demotiviert fühlen, müsse er ständig berichten, was er wie gemacht habe. Deshalb führten auch die Versuche, mehr Transparenz durch ein sich ausbreitendes Berichtswesen herzustellen, nicht nur zu Unmut wegen der damit verbundenen Arbeitsbelastung und der Ablenkung von den als " Kernbereich" gesehenen Aufgaben, sondern würden auch als Missachtung der Autonomie und Professionalität der Arbeit gesehen.

Mit eindeutigen Folgen: die Beschäftigten kontern diese als Bürokratisierung empfundenen Strategien der Sichtbarmachung mit Strategien des Unterlaufens: Inszenierung von Transparenz auf der Vorderbühne, die Realität der Arbeit auf der Hinterbühne. Unübersehbar das Dilemma der Sache: Arbeitende wünschen die Sichtbarkeit ihrer Arbeit und fürchten sie zugleich. Voswinkel: "Sie streben nach Sichtbarkeit, wenn sie ihre Arbeit anerkannt und honoriert haben wollen. Und sie wehren sie ab, wenn sie Kontrolle fürchten und sie als Misstrauen erfahren." Für die Unternehmen ein Balanceakt, der sicher mehr Aufmerksamkeit fordert als bisher, vor allem aber auch auf die Problematik des Formalen im betrieblichen Handeln und eines sich immer mehr verselbstständigen Controllings aufmerksam macht.

Was sichtbar wird, was nicht

Doch nicht genug damit. Auch der Strukturwandel in der Arbeitswelt führt zu weitreichenden Veränderungen der Sicht- beziehungsweise Unsichtbarkeit von Arbeit - unter anderem erkennbar an dem zunehmenden Anteil der Arbeiten, für die Leistungsbestandteile wesentlich sind, die nicht in einem stofflichen Ergebnis sichtbar werden. Das Produkt von Dienstleistungstätigkeiten ist häufig ebenso wenig unmittelbar besehbar wie das von Wissensarbeiten. Voswinkel: "Wer zum Beispiel als 'geistig Arbeitender' Kindern erklären will, was er eigentlich tut, macht die Erfahrung, dass das recht schwierig ist. Den Baggerfahrer können sie sich vorstellen, kaum aber die Wissensarbeit: Ich sitze da und überlege, schreibe, rede mit anderen, telefoniere, tippe was in den Computer. Was ist das fassbare Ergebnis?"

In dieser Hinsicht sind Vorgesetzte oft den Kindern gleich. Auch ihnen ist das nicht einfach zu beschreiben. Oft wissen die Wissensarbeiter selbst nicht so genau, was sie nun eigentlich am Tag geschafft haben, auch wenn sie sich abgespannt und gleichzeitig und angespannt fühlen. Und nicht nur Wissensarbeitern im engen Sinn geht das so. Ein immer größerer Teil der Arbeit besteht in Tätigkeiten, die den Kern der Aufgabe erst ermöglichen sollen und ihn begleiten: Organisationsarbeiten, Kontaktpflege, Termin- und Aufgabenabstimmungen, Meetings - Leistungsbestandteile mit häufig beträchtlichem Aufwand, der ebenso schlecht sichtbar ist wie die Kompetenzen, die sie ermöglichen.

Was gemessen wird

"Arbeit ist heute immer weniger standardisiert und vorstrukturiert, die Beschäftigten müssen daher selbstorganisierter arbeiten", sagt Voswinkel. 'Subjektivierte Leistungen' seien erforderlich, das heißt die Beschäftigten müssen sich mehr als Subjekte einbringen. Aber: "Werden diese Leistungen nicht gesehen und honoriert, so fühlen sich Beschäftigte auch als Person nicht anerkannt." Noch ein Aber: "Wenn auch die Arbeit heute in vielen Bereichen in geringerem Maße vorstrukturiert und standardisiert ist, so wollen Organisationen sie doch kontrollieren und kalkulieren. Sie können dies jedoch weniger als zu Zeiten des tayloristischen Produktionsparadigmas, als Arbeitsabläufe präzise strukturiert und Arbeitsanweisungen klar erteilt wurden."

Also wird versucht, die Selbstorganisation von Beschäftigten zu ermöglichen, aber das Ergebnis zu messen und sichtbar zu machen. Eine indirekte Steuerung nach dem Motto: Wie ihr's macht, ist eure Sache, Hauptsache, das Ergebnis stimmt! Um die Ergebnisse sichtbar zu machen und auch als Ziele vorgeben zu können, werden Arbeitsprozesse deshalb von einem System von Kennziffern überzogen, die Arbeitsergebnisse messbar, miteinander vergleichbar und zugleich an ökonomische Ziele anschließbar machen sollen. Aber "der Wert von Kennziffern besteht in der Messbarkeit und Vergleichbarkeit durch Abstraktion.

Die Vielfalt von Arbeiten und Leistungen wird jedoch zugleich unsichtbar gemacht", zeigt Voswinkel das Problematische an der Vorgehensweise auf: Es werde nur gezeigt, was Kennziffern messen und abbilden. Das führe zu neuen Unsichtbarkeiten. "Die Welt der Kennziffern kann Fehlsteuerungen verursachen, wenn die Kennziffer zum Hammer wird, für den alles ein Nagel ist."

Und die Konsequenz aus alldem? "Die Diagnosen über die Veränderung der Arbeit weisen auf Destandardisierung sowie größere Fluidität und Flexibilität von Arbeit hin", sagt Voswinkel. Was für einen Beruf konstitutiv sei, werde unschärfer; berufliches Wissen verändere sich beschleunigt; laufendes Lernen und eine ständige Redefinition des beruflichen Selbstverständnisses würden unumgänglich; die Kriterien und Muster für eine innerorganisatorische Karriere würden vielfältiger und undurchsichtiger; flache Hierarchien verringerten die Aufstiegspositionen.

Die Konsequenz: Die klassische Laufbahnkarriere verliert an Bedeutung; die Einzelnen können sich weit weniger auf einen erworbenen Status stützen; es wird unklarer, wovon ihre Entwicklungsmöglichkeiten abhängen und wie sie sich hierauf einrichten können.

Gefahr: Selbstdarstellung

"Leistungen verblassen schon deshalb, weil man sich immer häufiger in neuen Teams mit neuen Kollegen wiederfindet und weil nicht nur die Vorgesetzten immer schneller wechseln, sondern auch die Organisationseinheit, der man angehört, oder auch die Eigentumsverhältnisse des Unternehmens", beschreibt Voswinkel, was viele ambitionierte Kräften leidvoll erfahren. Das zwinge dazu, die eigene Leistung und die Persönlichkeit immer wieder neu sichtbar zu machen und sich zu bewähren, eine zweischneidige Angelegenheit, gibt Voswinkel zu bedenken.

Einerseits liege hier die Chance, die eigenen Fähigkeiten zu zeigen, andererseits aber auch die Möglichkeit und Gefahr, sich in den Vordergrund zu spielen: "Der aus dieser Entwicklung hervorgehende Zwang zur Sichtbarkeit bedeutet auch, dass geschickte Selbstdarstellung zur wesentlichen Anforderung wird."

Mehr noch als früher müsse man sich und die eigene Arbeit ins Rampenlicht rücken, womit er in wohlgesetzten Worten die um sich greifende nervende Selbstdarstellerattitüde anspricht - und einen ihrer bedenklichsten Effekte: dass fachliche Kompetenz gegenüber gekonnt inszenierter Auffälligkeit und Selbstdarstellung an Boden verliert. (Hartmut Volk, DER STANDARD, 29./30.12.2012)