Nun noch Zeit für unphilharmonische Projekte: der langjährige Solocellist der Philharmoniker, Franz Bartolomey.

Foto: STANDARD / A. Urban

Standard: Herr Bartolomey, Sie waren vier Jahrzehnte aktives Mitglied der Wiener Philharmoniker und haben unzählige Neujahrskonzerte gespielt. Welches war Ihr erstes, und welche Konzerte sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

Bartolomey:  Mein erstes war 1968, mit Willy Boskovsky. Ein besonderes Neujahrskonzert für mich war jenes von Herbert von Karajan. Er war damals schon krank, und wir haben alle gespürt, dass er es wahrscheinlich nie mehr dirigieren wird. Da waren Dinge da von einer anderen Welt. Und dann natürlich Carlos Kleiber. Bei ihm würde ich eher einzelne Stücke herausnehmen wie etwa Die Libelle, wo ganz einfach Momente passiert sind, die sich jeder Beschreibung entziehen.

Standard:  Was sollten Neujahrsdirigenten beachten?

Bartolomey:  Natürlich hat jeder Dirigent seinen eigenen Zugang zu dieser Musik. Aber unser Orchester kann bei Strauß und Co natürlich einen enormen Erfahrungsschatz anbieten. Ich habe noch keinen Dirigenten erlebt, bei dem es bei der ersten Probe nicht einen gewissen Ahaeffekt gegeben hat.

Standard:  Sie sind ja ein Mensch mit einem sonnigen Gemüt. Braucht man das, um an einem Neujahrsmittag glücklich Walzermusik spielen zu können?

Bartolomey:  Zum einen: Ich habe auch eine andere Gemütsseite, nicht nur die sonnige. Die Musik des Neujahrskonzerts aber ist unsere ureigenste Musik, und ich kann gar nicht anders, als meine Freude auch zu zeigen. Da müsste ich schon ein Magenproblem haben, wenn ich da grantig dreinschaue!

Standard:  Dieses Jahr spielen Sie nicht mehr mit. Freuen Sie sich, zu Silvester richtig feiern zu können und zu Neujahr dann einfach nur den Fernseher aufzudrehen und sich das Konzert anzuschauen?

Bartolomey:  Auf jeden Fall. Wenn man das Neujahrskonzert gespielt hat, dann musste man zu Silvester sehr diszipliniert sein, um beim Konzert fit zu sein und Höchstleistungen zu bringen. Derjenige, der die Nacht durchmacht, ist nur zu bedauern.

Standard:  Aber Sie haben es schon angedeutet: Einen Pensionsschock gibt es bei Ihnen nicht.

Bartolomey:  Ich muss auch sagen: Das Orchester, besonders das Spielen in der Oper, fehlt mir natürlich schon. Aber ich habe jetzt endlich die zeitlichen Freiräume, um Konzertangebote anzunehmen, die ich aus Zeitgründen absagen musste, etwa zum Jerusalem Festival. Ich setze mich für die Internationale Amadeus School of Music ein. Ja, und dann habe ich noch das Buch geschrieben ...

Standard:  ... zu dem wir jetzt kommen. Sie beschreiben darin drei Generationen Ihrer Familie: 120 Jahre Bartolomeys an der Staatsoper. Ihr aus Prag stammender Großvater ist 1892 Soloklarinettist an der k. k. Hofoper geworden. Er hat die Mahler-Ära miterlebt, zu seinen Diensten in der Hofmusikkapelle ist er noch mit Kutsche und Diener abgeholt worden.

Bartolomey:   Er hatte ein sehr gutes, fast freundschaftliches Verhältnis zu Gustav Mahler - ein sehr persönlicher Brief Mahlers im Buch dokumentiert das. Dennoch muss man schon sagen, dass das Spannungsverhältnis zwischen einem exponierten Orchestermusiker und den Dirigenten seinerzeit viel extremer gewesen sein muss. Mein Vater hatte dann mit Charakteren wie Toscanini zu tun. Heutzutage gehen Dirigent und Orchester doch viel mehr aufeinander zu.

Standard:  Die turbulenten Ereignisse um Ihren Vater während und nach dem Zweiten Weltkrieg lassen Sie im Buch vom Historiker Oliver Rathkolb behandeln.

Bartolomey:   Ich wollte dieses Thema von externer Seite professionell aufgearbeitet wissen, ohne eine eventuelle emotionelle Befangenheit meinerseits. Mein Vater hat später auch als stellvertretender Vorstand der Philharmoniker maßgeblich an der Organisation des Orchesters mitgewirkt, musste aber wegen einer Nervenentzündung im Arm 1964 vorzeitig in Pension gehen. Ein Jahr später wurde er zum künstlerischen und administrativen Direktor der Wiener Symphoniker bestellt.

Standard:  Haben die Exkollegen das nicht als Affront empfunden?

Bartolomey:  Sicher wird es im Orchester auch kritische Stimmen gegeben haben. Mein Vater hat bei den Symphonikern die damals ganz jungen Dirigenten wie Claudio Abbado, Seijzi Ozawa oder Carlos Kleiber erstmals engagiert, und, das ist für mich besonders bemerkenswert, er hat mit den Symphonikern die erste Tournee eines deutschsprachigen Orchesters nach Israel in der Nachkriegszeit organisiert. Damals eine sehr heikle und mutige Angelegenheit!

Standard:  Was wohl auch für Sie gelten wird. Sie sind knapp vier Jahrzehnte Solocellist des Orchesters gewesen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Zeit zurück?

Bartolomey:  39 Jahre Solocellist gewesen zu sein bedeutet 39 Jahre unglaublicher Erlebnisse. Und es sind 39 Jahre einer Entwicklung an exponierter Position in diesem Orchester, gemeinsam mit meinen Kollegen, aber auch mit Dirigenten, die zum Teil private Freunde geworden sind. Rückblickend kann ich mich fast nur wundern, wie gut alles gegangen ist.

Standard:  Gründe dafür, dass alles so lange so gut gegangen ist?

Bartolomey: Grundsätzlich habe ich nie aufhört, mich emotional zu öffnen - besonders in der Oper Neues zu entdecken. Zudem bin ich auch ein disziplinierter Mensch. Wie in allen Berufen, so gilt auch in der Musik: Je weiter man nach vorn kommt, desto dünner ist die Luft. In Situationen der Spannungen und Zerwürfnisse habe ich immer das Gespräch gesucht, denn der Gemeinschaftsgedanke ist mir als Mitglied dieses Orchesters immer das Wichtigste.
(Stefan Ender, DER STANDARD, 31.12.2012/1.1.2013)