Ekkehard Knörer
Buch: Teju Cole: Open City - Wenn man zusammenzufassen versucht, was in diesem Debütroman alles drin ist, klingt das arg überladen: Ein US-Deutsch-Nigerianer namens Julius ist in New York unterwegs und in einem Kapitel in Brüssel, es geht um Gustav Mahler, Postkolonialismus, Roland Barthes, Rassismus und viele andere Dinge. Das Heterogene wird aber zum einen so in Geschichten aufgelöst, zum anderen in einem so klaren wie lakonischen Ton erzählt, dass alles passt und man nur staunen kann über die Sicherheit eines Debütanten. (Suhrkamp 2012)
Film: Steven Soderbergh: Magic Mike - Man weiß nie, was kommt, bei Steven Soderbergh. Und vielleicht hört er demnächst wirklich mit dem Filmemachen auf, oft genug angekündigt hat er es ja. Nach Magic Mike muss ich sagen: Lieber doch nicht. Diese Male-Stripper-Geschichte, bei der es sehr konkret um Arbeit und Geld geht und um männliche Körper, die trotzdem einen Riesenspaß hat an den Stripchoreografien, die ist einfach toll. Soderbergh erzählt ansatzlos und lässt auch ansatzlos aus und findet einen perfekten Rhythmus. Der Welt fehlte was ohne diesen komplett unberechenbaren Film.
DVD: Francis Ford Coppola: Twixt - Drei Filme hat sich Francis Ford Coppola, nach dem Absturz mit dem Weinbau wieder zu Vermögen gelangt, schon selbst finanziert. Der dritte, Twixt, ist nun ein ziemlich großer Wurf. Ein Thrillerautor (Val Kilmer), der in einem amerikanischen Provinzkaff die Orientierung verliert, steht im Zentrum. Die Zeit beginnt zu rutschen, die Realität auch, Vampire treten auf, Edgar Allan Poe höchstpersönlich schwenkt die Laterne, den Unfalltod seines Sohnes verarbeitet Coppola außerdem mit. Hier nimmt sich einer die Freiheit, zu tun, was er will. Und siehe: Diese Freiheit überträgt sich recht unmittelbar auf den Betrachter.
Bert Rebhandl
Film: Vielleicht nicht der beste Film, aber das herausragende Filmerlebnis war Miss Bala von Gerardo Naranjo, gesehen auf einem Computer eines Morgens ohne irgendeine Vorbereitung. Wie hier eine junge Mexikanerin, die an einer Schönheitskonkurrenz teilnehmen möchte, in die Bandengewalt hineingezogen wird, wie sich die Zeit zu dehnen beginnt, sodass in kaum 48 Stunden erzählter Zeit der Suspense, aber auch das Ungeahnte, immer dichter wird, das hatte für mich etwas von einer ganzen Staffel Breaking Bad, konzentriert auf zwei Stunden.
Buch: Der Literaturkongress von César Aira. Am liebsten hätte ich jeden Satz unterstrichen. Schmales Buch, kühne Fabel, Größenwahn der Erfindung, Hochseilakt der Sprache. Ein Schriftsteller möchte Jorge Semprun klonen, erschafft einen Blob und lässt (beinahe) die Welt untergehen.
DVD: Schon vor drei Jahren erschienen, heuer endlich gekauft - die definitive Ausgabe der britischen Serie UFO aus dem späten 1960er Jahren war eine der entscheidenden Fernseherfahrungen meiner Kindheit. Eine geheime Organisation, die uns Erdbewohner vor Außerirdischen schützen soll, tarnt sich als Filmstudio, woraus sich immer wieder höchst psychedelische Verwirrungen ergeben. Der Soundtrack ist toll, die "21st Century Fashion" lustig, und was den Schnaps- und Zigarrenkonsum anlangt, sind Mad Men Temperenzler gegen die Abfangjäger von SHADO.
Simon Rothöhler
Film (ohne Starttermin): The Bay von Barry Levinson sieht man am besten, ohne zu wissen, worum es geht. Für alle anderen: ein toller Low-Budget-Horrorfilm, sehr effektiv aus Pseudo-Found-Footage montiert, bei dem einem der Ökoterror des Menschen nur so um die Ohren fliegt. Ein 70-jähriger Regie-Veteran zeigt dem Nachwuchs, wie Genrekino geht.
Statt eines Buchs, eine Zeitschrift: M, herausgegeben von Peter Kaplan (der früher Editor-In-Chief beim New York Observer war) trägt den schrägen Untertitel A New Class of Man. Auch sonst ist hier alles grandios blasiert: Bis auf die verschiedenen Papiersorten eine letzte große Verschwendungsgeste der untergehenden Printkultur (allein, wie in einer großartig überproduzierten Fotostrecke die Redaktion der neu aufgestellten New Republic ins Mad Man-hafte hochinszeniert wird).
DVD: Margaret von Kenneth Lonergan: eine Upper West Side Story, die eine ganze eigene Idee erzählerischer Unbestimmtheit verfolgt. Man möchte tatsächlich nochmal 16 sein und diesen Film von jemandem gezeigt bekommen haben.