In Dublin die EU-Hymne von Beethoven, blau-gelbe Ballons, singende Schulkinder - in London Diskussionen über Brüsseler Direktiven: Augenfälliger als zum 40. Jahrestag ihres Beitritts zur damaligen EWG am 1.1.1973 hätten Iren und Briten kaum machen können, wie unterschiedlich sie ihre Mitgliedschaft im 27er-Klub heute sehen. Während die Grüne Insel den Beginn ihrer sechsmonatigen EU-Präsidentschaft bescheiden, aber doch feiert, kämpfen Pro-Europäer in Großbritannien gegen die steigende Welle nackter Feindseligkeit gegenüber dem Kontinent.

Der Riss geht quer durch die Koalition: Während der konservative Premier David Cameron an einer EU-skeptischen Programmrede und dem Versprechen einer Volksabstimmung bastelt, will sein liberaler Vize Nick Clegg abwarten: "Wir wissen gar nicht, wie sich die Eurozone entwickelt. Ein Referendum käme politischem Schattenboxen gleich."

In jüngsten Umfragen bekennt sich eine Mehrheit der Briten zum EU-Austritt. Dem seriösen ICM-Institut zufolge würden derzeit 51 Prozent "sicher oder wahrscheinlich" für den Austritt, lediglich 40 Prozent für den Verbleib votieren.

Dabei warnen Wirtschaftsbosse wie John Cridland eindringlich davor, "das Kind mit dem Bade auszuschütten". Der Leiter des Industrieverbandes CBI wünscht sich zwar Strukturreformen in der EU und einen Freihandelsvertrag mit den USA. "Den besten Deal bekommt unser Land aber auf der EU-Ebene. Wir müssen am Verhandlungstisch sitzen." Dort hätten britische Vertreter immer wieder "herausragende Führung" gezeigt, assistiert Clegg und mahnt Cameron zur Kooperation: "Wir sollten dazu beitragen, das Feuer in der Eurozone zu löschen."

Neue Veto-Wünsche

Davon will die wachsende Zahl von EU-Feinden in der konservativen Parlamentsfraktion nichts wissen. Deren Wortführer basteln eifrig an Ideen für die gewünschte Neuverhandlung sämtlicher EU-Verträge, mit der sie den Premier unter Druck setzen wollen. So wünscht sich Finanzexpertin Andrea Leadsom ein Veto für den wichtigsten Finanzplatz des Kontinents gegen "böswillige Direktiven, die unsere Finanzindustrie kaputtmachen". Außerdem sollen Arbeitsschutzgesetze, etwa die Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden, aufgeweicht werden. Nächste Woche debattiert das Unterhaus über Brüsseler Zielvorgaben, wonach bis 2020 40 Prozent aller Vorstandsposten in börsennotierten Unternehmen durch Frauen besetzt sein sollen. Dies sei "eine ökonomisch schädliche, politisch korrekte Zwangsvorstellung", empört sich Tory-Hinterbänkler Dominic Raab.

Die Kooperation bei der Kriminalitätsbekämpfung, darunter den Europäischen Haftbefehl, hat Cameron bereits im Vorjahr aufgekündigt. Er bezichtigt die frischgebackene Friedensnobelpreisträgerin EU des " Taschendiebstahls" und teilte vor Weihnachten im Parlament mit, natürlich sei "auch ein Austritt denkbar", wenn auch von ihm nicht gewünscht. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 2.1.2013)