Bild nicht mehr verfügbar.

Casus Baby: der erschlankte Bauch der Kim-Gattin (Mitte links im Bild) gab Anlass zu wilden Spekulationen, wonach Kim Jong Un Kraft seines Amtes Vater eines Kindes wurde. Dieses Bild datiert vom 2. Jänner.

Foto:KRT via AP Video/AP/dapd

Bild nicht mehr verfügbar.

Zum Vergleich: Dieses Bild wurde am 17. Dezember aufgenommen.

Foto:KRT via AP Video, File/AP/dapd

Rüdiger Frank, damals im Chat zu Gast.

Foto: derStandard.at

Viel wurde gerätselt nach der überraschenden Neujahrsansprache von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un, in der er "radikale Reformen" und bessere Lebensbedingungen für die darbende Bevölkerung versprach. Eine klassische Ente, sagt der Wiener Nordkorea-Spezialist Rüdiger Frank, der in den Spekulationen danach einen "typischen Fall von Kolumbus-Komplex" ortet. Der wirtschaftliche Wandel in dem nordostasiatischen Land habe aber schon längst begonnen, erklärt Frank im derStandard.at-Interview.

derStandard.at: Bricht nach Kim Jong-uns Neujahrsansprache, in der er einen "radikalen Wandel" ankündigt, jetzt in Nordkorea der Frühling aus?

Rüdiger Frank: Nach meinem Kenntnisstand basieren die unzähligen euphorischen Beiträge in unseren Medien auf einer einzigen Reuters-Meldung. Dort hat man womöglich über die Feiertage jemanden zum Dienst abgestellt, der noch nie eine nordkoreanische Verlautbarung zu dem Thema gelesen hat – sonst wäre nämlich schnell klar gewesen, dass so gut wie alle Formulierungen schon seit Jahren verwendet werden. Ein typischer Fall von Kolumbus-Komplex also.

derStandard.at: In einem Kommentar auf 38north.com orten Sie aber doch einige Anzeichen einer wirtschaftlichen Öffnung Nordkoreas. Ist das der versprochene Einfluss des jungen Staatschefs oder die schiere Not?

Frank: Beides. Ich denke, dass Kim Jong-un persönlich auf jeden Fall reformorientiert ist. Das wäre jeder halbwegs gebildete junge Mensch, der die Welt gesehen hat und so etwas wie Verantwortung für sein Land empfindet. Dabei ist Reform aber kein Selbstzweck, sondern der einzige Weg, um das enorme wirtschaftliche Potenzial des Landes mit seinen Bodenschätzen, der gebildeten Bevölkerung und der Nähe zum größten Markt der Welt, endlich auch zu nutzen. Andererseits hat Kim Jong-un auch kaum eine andere Wahl, als wirtschaftliche Erfolge zu produzieren. Nur so kann er glaubhaft machen, dass er zu Recht quasi aus dem Nichts neuer oberster Führer geworden ist.

derStandard.at: Welches Kalkül verfolgt Kim, wenn er Ansätze privaten Wirtschaftens zulässt?

Frank: Eigentum hat etwas mit Verantwortung zu tun, und damit mit Effizienz und Produktivität. Das ist der Grund, warum das klar definierte Privateigentum in vielen Bereichen dem diffusen kollektiven Eigentum überlegen ist. Einfach ausgedrückt: die Toilette in einer Privatwohnung ist tendenziell immer sauberer als ein öffentliches WC. Das hat Kim Jong-un erkannt und versucht nun, diese Kräfte zu nutzen, ohne dabei sein politisches System zu ruinieren. Gorbatschow ist mit diesem Vorhaben gescheitert; Deng Xiaoping hat es geschafft.

derStandard.at: Sind Bestrebungen des Regimes festzustellen, moderne Technogien zu nutzen? Wofür?

Frank: Natürlich, und zwar schon lange. Man hat in Nordkorea erkannt, dass aufgrund der Wirtschaftsstruktur ein Aufschwung nicht wie in China 1978 in der Landwirtschaft, sondern in der Industrie beginnen muss. Dafür ist eine Modernisierung nötig, also eine qualitative Verbesserung. Am deutlichsten sieht man das an den computergesteuerten Werkzeugmaschinen, die überall propagiert werden. Nun hat man mit dem Weltraumprogramm ein neues Highlight. Diese Investitionen brauchen aber Zeit um zu greifen.

derStandard.at: Wie bedeutend sind Muskelspiele wie Raketenstarts und Kriegsrhetorik tatsächlich für die Machtbasis des jungen Staatschefs?

Frank: Vor allem der Raketenstart war ein riesiger Erfolg. Die Menschen auf allen Ebenen trauen ihm jetzt nahezu alles zu, und in der Neujahrsansprache hat er ja schon deutlich die Verbindung zwischen dem Weltraumprogramm und der wirtschaftlichen Modernisierung hergestellt. Ich persönlich bin hin- und hergerissen zwischen dem Respekt vor dieser technischen Leistung und dem Ärger darüber, dass man die enormen Ressourcen auch für die Versorgung der Bevölkerung hätte einsetzen können. Aber vielleicht rechnet sich der Raketenstart ja am Ende sogar nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich.

derStandard.at: Welche Bedeutung messen Sie den Berichten über Kims Vaterschaft zu? Ist es für ihn wichtig, sein Beziehungsleben der Bevölkerung in gutem Licht zu präsentieren?

Frank: Der Unterschied zum Auftreten seines Vaters Kim Jong-il ist schon deutlich. Andererseits gibt es viele Parallelen zu Großvater Kim Il-song. Dass es nun eine quasi öffentliche First Lady "Genossin Ri Sol-ju" gibt, ist definitiv neu und stärkt die Identifikation der Bevölkerung mit dem Führer. Die Wirkung kann man mit der Heirat von Lady Diana and Prince Charles auf das Image der Monarchie in Großbritannien vergleichen. Hier erkennt man übrigens auch das langfristige Risiko. Niemand weiß was ist, wenn Kims Gattin plötzlich verschwindet oder durch eine andere "Genossin" ersetzt wird.

derStandard.at: Ist der Einfluss Chinas seit Kim Jong-uns Machtübernahme gewachsen oder kleiner geworden?

Frank: Ich denke, er ist gewachsen. Kim Jong-un braucht den wirtschaftlichen Erfolg mehr als sein Vater, und China ist dafür die wichtigste Quelle. China ist aber auch der wichtigste Lehrmeister in Sachen Kapitalismus. Vom kleinen Grenzverkehr, wo Chinesen Nordkoreanern einfache Dinge wie Verträge und Kostenrechnung beibringen, bis zu großen Joint Ventures ist jegliche Art der wirtschaftlichen Zusammenarbeit schon längst am Laufen. Chinas Ginseng-Produktion etwa ist eng mit den Anbaugebieten in Nordkorea verknüpft. Während die DDR-Bürger erst nach der Wiedervereinigung marktwirtschaftliche Nachhilfe bei Westdeutschen bekamen, geht das in Korea schon länger so.

derStandard.at: Wie steht es um die Lebensmittelversorgung am Land?

Frank: Hilfsorganisationen geben dazu wenig optimistische Meldungen heraus. Sie besuchen regelmäßig und systematisch große Teile des Landes. Ich bin nur ein bis zweimal pro Jahr in Nordkorea, und erfahre dort als Ausländer eine Sonderbehandlung. Als Außenstehender sollte man sich mit Aussagen zur Nahrungsmittelsituation sehr zurückhalten. Subjektiv kam es mir so vor, als wären mehr Lebensmittel verfügbar – allerdings zu astronomisch hohen Preisen.

derStandard.at: Wann werden die von Ihnen aufgezeigten Reformen für die Bevölkerung spürbar sein?

Frank: Die angedeuteten Reformen müssen natürlich für die ganze Bevölkerung spürbar sein, sonst verliert der neue Führer seine Glaubwürdigkeit. Dazu braucht es aber angesichts des relativ geringen Wohlstandsniveaus nicht viel. In den vergangenen fünfzehn Jahren ist die Masse der leicht manipulierbaren Landbevölkerung zudem kleiner geworden, erstens weil die nordkoreanische Bevölkerung viel häufiger in Städten wohnt als das etwa in China der Fall ist. Und zweitens, weil immer mehr Menschen den Aufstieg in den Mittelstand schaffen. In Nordkorea gibt es derzeit bei 24 Millionen Einwohnern über eine Million durchaus nicht billige Mobiltelefone. Das ist ein klares Indiz, dass sich wirtschaftlich für einen großen Teil der Nordkoreaner etwas tut. Von dieser Mittelschicht hat Kim Jong-un am ehestens Kritik zu befürchten, weil sie nicht so eng an die politische Aristokratie gebunden ist, um per se an deren Machterhalt interessiert zu sein. Darum richtet er seine Reformen auch strategisch auf die Mittelschicht aus, was etwa an einer Bevorzugung der Hauptstadt zu erkennen ist.

derStandard.at: Auch Südkorea und Japan haben neue, nationalistische Staatsspitzen. Wie nimmt das Kim-Regime solche Veränderungen wahr?

Frank: Bisher eher gelassen. Das kann man eigentlich recht gut verstehen. Japan etwa spielt wirtschaftlich kaum eine Rolle, ist aber nützlich als Feindbild. Da passt ein konservativer Ministerpräsident doch ganz gut. Und in Südkorea wartet man erst mal ab, wie auch seinerzeit 2007/2008 bei Lee Myung-bak. Sicher wäre es aus Sicht Nordkoreas schön, Seoul ein wenig gegen die erdrückende "Freundschaft" Pekings ausspielen zu können. (flon/derStandard.at, 3.1.2013)