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Seit Wochen protestieren Frauen in Indien gegen Gewalt - hier gegen einen Politiker der regierenden Congress Party, der festgenommen wurde, weil er in Gauhati ein Mädchen vergewaltigt haben soll.

Foto: Anupam Nath/AP/dapd

Im Eiltempo wurde am Donnerstag in Delhi Mordanklage gegen fünf der sechs Männer erhoben, die eine 23-jährige Inderin am 16. Dezember in Delhi vergewaltigt und gefoltert haben. Nach 13 Tagen war die Medizinstudentin am Samstag ihren inneren Verletzungen erlegen. Der Prozess soll am Wochenende beginnen. Den Beschuldigten droht die Todesstrafe. Bei dem sechsten Täter ist noch unklar, ob er volljährig ist.

Der Fall hat Indien aufgerüttelt, die Fernsehsender kennen kaum noch ein anderes Thema. Der Vater des Opfers fordert wie viele Inder die Todesstrafe für die Täter. Seit über zwei Wochen gehen Menschen auf die Straße. Doch die Vergewaltigungswelle geht unvermindert weiter.

Jeden Tag berichten die Medien über neue Schreckenstaten. Wie im Falle des zweijährigen Mädchens, das zu Tode vergewaltigt wurde. Oder der Elfjährigen in Delhi, über die ein Maler herfiel. Oder des Mädchens, das erst von einer Männergruppe vergewaltigt und dann angezündet wurde.

Jahrelang hatte das Land weggeschaut, diese täglichen Randnotizen ignoriert. Auch ist Vergewaltigung in Indien gesetzlich so eng definiert, das vieles gar nicht als Vergewaltigung gilt: So zählt derzeit nur vaginale Penetration als Vergewaltigung, erzwungener Oral- oder Analverkehr dagegen nicht. Vergewaltigung in der Ehe ist überhaupt kein Straftatbestand, sondern Recht des Mannes. Zwar sollen die Gesetze verschärft werden - die Politik behandelte Gewalt gegen Frauen aber bisher als Kavaliersdelikt. Selbst in den Parlamenten sitzen Politiker, gegen die wegen sexueller Gewalt oder Mord ermittelt wird.

Doch nun tut sich etwas. Erstmals stehen Menschen auf. Angeführt werden die Proteste von Studentinnen und Studenten, von der Mittelschicht, doch auch Menschen aus allen Schichten und allen Altersgruppen sind mit dabei. Sogar in Nepal, Bangladesch und Pakistan, wo Frauen ähnliches Leid erfahren, kam es zu kleinen Kundgebungen.

Vergewaltiger wird geheiratet

Die Regierung hat als erste Reaktion nun Schnellgerichte eingesetzt, damit Vergewaltigungsfälle nicht länger verschleppt werden. Das Grundproblem aber bleibt: Ähnlich wie in Pakistan oder Afghanistan werden nicht die Täter, sondern die Opfer angeprangert und sozial geächtet.

Im Jahr 2011 wurden in Indien offiziell 24.206 Vergewaltigungen registriert. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer 100-mal höher sein könnte, das hieße etwa 6600 am Tag. Die meisten Vergewaltigungen werden nie angezeigt. Familien setzen Opfer unter Druck, Richter verdonnern sie dazu, ihre Vergewaltiger zu heiraten.

Oft weigert sich die Polizei, eine Anzeige aufzunehmen. Oder die Täter bedrohen die Opfer. Wie im Fall einer Elfjährigen aus Jaipur, die 14-mal operiert wurde und noch immer im Spital liegt, seit sie im August von sechs Männer einen Tag lang vergewaltigt wurde. Der Familie des Opfers wird gedroht. "Sie sagen: Ihr habt keine Chance", erzählt die Schwester des Opfers. "Nehmt Geld und zieht die Anzeige zurück."

Selbst wenn die Opfer den Gang zur Polizei wagen, geraten Aussage und medizinische Tests schnell zu einem demütigenden Albtraum. So wird bis heute der "Fingertest" praktiziert. Dabei schieben die Ärzte dem Opfer zwei Finger in die Vagina, um zu testen, wie weit diese ist. Dies soll Auskunft geben, ob das Opfer "an Sex gewöhnt" ist. Der Fingertest wird bis heute als Beweis anerkannt und von Anwälten benutzt, um Frauen als " Flittchen" zu diskreditieren.

Die wenigen Fälle, die es vor Gericht schaffen, ziehen sich oft über Jahre hin, bis die Opfer zermürbt aufgeben. Eine junge Frau aus Kerala wartet seit über einem Jahrzehnt auf ein Urteil des höchsten Gerichts. Sie war als 16-jährige 1999 entführt und einen Monat lang von 42 verschiedenen Männern vergewaltigt worden. (Christine Möllhoff, DER STANDARD, 4.1.2012)