
Kulissen dokumentation: Fiona Rukschio beim Dreh zu "Retaped Rape" in London.
Wien - Stalking würde man es heute nennen. 1969 führten Yoko Ono und John Lennon mit dem Film "Rape" vor, wie die Kamera als stumme Beobachterin in die Privatsphäre eindringt. Drei Tage lang verfolgt ein Kameramann in London eine junge Frau auf Schritt und Tritt. "Hab' genug von euch", versucht sie ihre Verfolger abzuschütteln. "Geht endlich weg". Sie bittet. Sie fleht. Nach 75 Filmminuten bricht die Frau zusammen.
"Retaped Rape" heißt Fiona Rukschcios Analyse dieser filmischen Versuchsanordnung. Die Künstlerin inszeniert eine Art Remake des 44 Jahre alten Films an den Originalschauplätzen, imitiert minutiös jede Kameraeinstellung, um die Zusammenhänge zwischen Kamerasprache, Blickregime und Gewalt zu untersuchen. Ihre Variation im Experiment: Das Opfer fehlt.
Aber kann man Blick regime tatsächlich unter suchen, wenn das Objekt der Begierde fehlt? Wenn die Kamera nun vielmehr die Kulisse der Geschehnisse zeigt, so als wäre die Protagonistin durchsichtig? So als wären auch ihre Worte, die sie immer wieder an den Kameramann richtet, nie gesagt? Rukschio, die sich wiederholt mit weiblichen Identitätsbildern und Gewalt ge gen Frauen beschäftigt hat, geht davon aus. Sie will die Frau aus ihrer Opferrhetorik befreien, greift selbst zur Kamera. Und auch der Betrachter ist bei ihr kein Täter mehr. Klar. Denn letztendlich fehlt der Tatbestand.
Der Kamerablick ist unmotiviert, folgt er doch einzig den strukturellen Kriterien der Vorlage. Sind es wirklich Spuren oder eben nicht neutrale Bilder einer Stadt, der sich die zurück liegenden Ereignisse der Verfolgung nicht eingeschrieben haben? Das Experiment ist zumindest in diesem Sinne geglückt: Es beweist neuerlich, dass die Gewalt des Blickes nur zwischen Subjekten entsteht - oder, im Falle von Über wachungskameras, zwischen Subjekt und Machtapparat. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 4.1.2013)