Wir weinen Mario Monti keine Träne nach!" Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder lässt am italienischen Premier kein gutes Haar. "Er wollte von uns nur Geld haben, sonst nichts." Geld spielt in Italiens nördlichster Provinz freilich eine wichtige Rolle. Und dessen lockere Handhabung hat im vielgepriesenen Modell einer sauberen, effizienten Verwaltung arge Schrammen hinterlassen. Die Ermittlungen zu Durnwalders üppigem Sonderfonds werfen dunkle Schatten auf den 69-Jährigen. Nach 33 Jahren in der Landesregierung will er im Herbst 2013 nicht mehr zur Landtagswahl antreten. Den Hinweis, dass "kein Besserer in Sicht" sei, kann er sich dennoch nicht verkneifen.
Das neu erwachte Feindbild Rom kommt dem mächtigen Landesfürsten gelegen, um von der Betrugsaffäre um die Landesenergiegesellschaft SEL abzulenken, die laut Wochenmagazin FF "das Ende der Ära Durnwalder" markiert, "eines von Verfilzung geprägten Systems".
Munition für Freiheitliche
Den Freiheitlichen, denen Umfragen 24 Prozent prophezeien, liefern Skandale dieser Art willkommene Munition. Eine Verfassung für den von ihnen propagierten Freistaat Südtirol haben sie bereits erstellt. Sie sieht "Verhandlungen zwischen Wien und Rom über eine neue Schutzmachtstellung Italiens für die italienische Sprachgruppe" vor.
Mit dem alten Schlachtruf "Los von Rom" zieht auch die Süd-Tiroler Freiheit von Eva Klotz in den Wahlkampf. Und weil zwei separatistische Parteien nicht genügen, fordert auch die Union für Südtirol eine "freie, unabhängige und souveräne Europaregion Tirol" - mit Innsbruck als Hauptstadt.
Die angeschlagene Südtiroler Volkspartei (SVP), die als Alternative die " dynamische Autonomie" anpreist, sieht sich in die Defensive gedrängt und riskiert erstmals den Verlust der absoluten Mehrheit. Die einst allmächtige Sammelpartei hat Risse bekommen, der ethnische Kitt bröckelt, Interessengruppen ringen um Einfluss und Macht. Zudem schaffte es der führungsschwache Parteichef Richard Theiner nie, hinter Durnwalders massiver Überfigur hervorzutreten
Auch die Entscheidung, die Kandidaten für das römische Parlament, das Ende Februar gewählt wird, am 6. Jänner erstmals in einer "Basiswahl" zu küren, lässt wenig Begeisterung aufkeimen.
Blick auf die Zukunft verstellt
Im patriotisch getünchten Wahlkampf wird viel über Phantome und wenig über Fakten gestritten. Viel über Freistaat, Los von Rom, zweisprachige Wegweiser, ethnische Identität - aber nur wenig über die Perspektiven einer mehrsprachigen Region, der die Berge oft den Blick auf die Zukunft verstellen. Südtirol erscheint immer deutlicher als ein Nebeneinander mehrerer Parallelgesellschaften: Meilen trennen die markigen Parolen der Schützen von der lebhaften Kultur- und Kunstszene, die traditionellen Geranienbalkone von der neuen Architektur, die urbane Eleganz von den Trachtenaufmärschen, die polyglotte Universität Bozen von der vielfach einsprachig lebenden Landbevölkerung, die städtischen Italiener vom Gedöns um Selbstbestimmung. Noch immer verirrt sich kein Wort der jeweils anderen Landessprache in die Tageszeitungen Dolomiten und Alto Adige.
Doch hinter der starren, offiziellen Fassade hat sich längst eine Dynamik angebahnt, die von den meisten Parteien ignoriert wird, weil sie die Logik ethnischer Frontstellung unterläuft - etwa das zweisprachige Medienprojekt "Salto" in Bozen, das ein unabhängiges Nachrichten- und Communityportal plant (www.salto.bz). "Man gebärdet sich noch immer so, als sei die ethnische Identität der Südtiroler gefährdet und nicht ihre von Betonierung bedrohte Landschaft", meint der grüne Landtagsabgeordnete Hans Heiss.
Not mach erfinderisch: Nach der Enttäuschung durch Monti will die SVP ihr Prinzip der Blockfreiheit nun aufgeben und sich der Linken andienen. Obmann Theiner hat in Rom bereits mit dem Partito Democratico über mögliche Aufteilungen der Pfründe verhandelt: der Senatswahlkreis Bozen den einen, der Abgeordnetenkammerwahlkreis den anderen.
Schon mit der Regierung Prodi hatte die SVP beste Erfahrungen gemacht. Die drohende Wackelmehrheit im Senat könnte den Stellenwert der zwei SVP-Mandatare deutlich über ihren arithmetischen Wert steigen lassen und der Sammelpartei wieder zur erfolgreichen Politik früherer Jahre verhelfen: Stimmen im Tausch gegen Zugeständnisse. (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 4.1.2013)