Wien/Paris - Der Pariser Steuerexperte Denis Fontaine-Besset verfolgt die Entwicklungen im Fall Gérard Depardieu penibel. Wegen der drohenden 75-prozentigen Reichensteuer für Einkommen über einer Million Euro ist der Schauspieler zunächst nach Belgien ausgewandert, ehe er die russische Staatsbürgerschaft angenommen hat. "Dass manche Bürger verzweifelt sind, ist verständlich", sagt Fontaine-Besset, "die 75-prozentige Steuer plus die hohen Sozialabgaben bedeuten doch, dass manchen Reichen vom Einkommen gar nichts bleibt."
Dabei hat Fontaine-Besset bisher keine Klienten, die von der Reichensteuer betroffen sein könnten, und die Chancen stehen gut, dass das so bleibt. Gerade 3000 Franzosen sollen die neue Abgabe zahlen, weshalb sich Experten ziemlich einig sind: Die Bedeutung des Falls Depardieu ist aufgeblasen. "Die Einnahmen, um die es da geht, sind viel zu klein. Ob die Spitzensteuer auf 50 oder 75 Prozent steigt, ist daher eine rein symbolische Diskussion", meint die österreichische Steuerexpertin Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo. Dabei bietet das von der französischen Regierung für 2013 beschlossene Budget tatsächlich Ansatzpunkte für kontroversielle Diskussionen. Denn Frankreich schwimmt im Steuerrecht in vielen Bereichen gegen den Strom.
Im Herbst hat die Regierung unter Präsident François Hollande ein Sparpaket über 30 Milliarden Euro für 2013 präsentiert. Während die Reichensteuer gerade 200 Millionen Euro ins Budget spülen soll, betrifft ein viel wesentlicherer Aspekt die Besteuerung von Vermögen (Grundstücke, Kapital). Hollande hat die von seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy eingeführte Flat Tax bei größeren Besitztümern abgeschafft und die Sätze angehoben. Für Vermögen ab zehn Millionen Euro steigt die Belastung damit ums Dreifache auf jährlich 1,5 Prozent. Die Maßnahme soll dem Budget 2,3 Milliarden Euro bringen.
Während sich wohlhabende Franzosen wie Louis-Vuitton-Chef Bernard Arnault über die Abgabe bitter beklagen, sieht man die Entwicklung bei internationalen Organisationen differenzierter. Sowohl die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als auch der Internationale Währungsfonds (IWF) haben in jüngeren Studien eine spürbare Anhebung von Vermögenssteuern in Industrieländern gefordert. So beklagt die OECD, dass sich der Anteil der Immobiliensteuern an den nationalen Steueraufkommen seit den 60er-Jahren fast halbiert hat.
Kapitaleinkünfte im Visier
Noch 1995 haben 13 europäische Länder Vermögenssteuern eingehoben. Derzeit sind es mit Frankreich, Spanien und Luxemburg drei. Höhere Vermögenssteuern seien eine wachstumsneutrale Art, um Budgetlücken zu stopfen, sagen OECD und IWF.
Die Regierung Hollande hat neben dem Fokus auf Vermögenssteuern eine zweite Kernforderung einiger Experten beachtet. Ökonomen wie Schratzenstaller sind der Ansicht, dass Einkommen zu hoch und Kapital zu gering besteuert wird. In den meisten Ländern sind Kapitaleinkünfte (Aktien, Anleihen, Zinsen und sonstige Wertpapiere) wie in Österreich unabhängig vom Verdienst besteuert.
In Frankreich ist das seit 2013 anders: Kapitalzuwächse unterliegen seit Jahresbeginn der regulären Einkommenssteuer, die Sätze steigen damit für Betroffene spürbar an, von 19 auf bis zu 45 Prozent. "Das ist die Reform mit dem größten Effekt", sagt der Pariser Steuerberater Fontaine-Besset.
Die Reformen Hollandes stoßen freilich nicht nur auf Lob. So wird kritisiert, dass der Anteil der Steuererhöhungen bei der Budgetsanierung überproportional hoch ist: 20 der 30 Milliarden Euro Mehreinnahmen für 2013 entfallen auf höhere und neue Abgaben. Die Regierung hat zudem die zweite Kernforderung von IWF und OECD nach der Entlastung von Einkommen nicht umgesetzt. Dabei kostet eine Arbeitsstunde in Frankreich laut Eurostat derzeit mit 34,2 Euro um 4,1 Euro mehr als in Deutschland. In Österreich liegen die Kosten pro Arbeitsstunde knapp unter 30 Euro. Frankreich ist eines der Länder in Europa, die in den vergangenen zehn Jahren am meisten Anteile am Weltmarkt verloren haben und daher in puncto Wettbewerbsfähigkeit besonders viel aufzuholen haben. (András Szigetvari, DER STANDARD, 5./6.1.2013)