Offensichtlich sind in Bezug auf die Wehrpflicht-Debatte linke und rechte Positionen leicht zu verwechseln, und kaum ist man einen Tag auf Urlaub oder ein Jahr im Ausland gewesen, haben zum Beispiel SPÖ und ÖVP ihre Standpunkte gewechselt. Drängt sich die Frage auf: Ist der staatlich gelenkte Präsenzdienst nun eigentlich links oder rechts?
Eine erste, grobe Vermutung assoziiert die staatliche Wehr- und Versorgungspflicht mit dem rechten Lager. Nicht nur weil Panzer, Maschinengewehre und Abfangjäger für viele martialisch und anachronistisch, kurzum rechts wirken. Sondern vor allem, weil der Gedanke einer staatlichen Pflicht sehr viel an Akzeptanz verloren hat. Dass der Staat sich das Recht herausnimmt, aus seinen Reihen Individuen herauszuheben, um sie mit der Aufgabe seiner Versorgung oder Verteidigung zu betrauen, kommt vielen zivilisierten und traditionell linken Individuen unheimlich vor. Für den Staat in die Bresche springen zu müssen, ja gegebenenfalls sogar sein Leben für ihn zu lassen ist ein unbehaglicher Imperativ, dessen Gesetzeskraft man nicht mehr ohne weiteres spürt.
Paradigmenwechsel
Einerseits weil die staatliche Souveränität zugunsten über-staatlicher Verbände (EU) an gesetzgeberischer Relevanz verloren hat: Das Gebiet, das es zu verteidigen oder zu versorgen gilt, beschränkt sich nicht mehr auf die innerhalb der österreichischen Grenzposten eingezäunte Fläche. Nicht die Unmöglichkeit einer Bedrohung Österreichs (wie so oft behauptet), sondern die Möglichkeiten einer Verteidigung Europas stellen den national organisierten Präsenzdienst infrage. Andererseits spürt man den Imperativ nicht mehr so sehr, weil die Gesetzeskraft einer über-, unter- oder nationalstaatlichen, kurzum kommunalen Einrichtung überhaupt angezweifelt wird.
Es wird angezweifelt, dass eine wie auch immer geartete Kommune (eine Stadt, ein Land, ein Verband, die Weltgemeinschaft) sich ihrer Mitglieder bemächtigen darf, um sie zu ihrer Verteidigung oder Versorgung zu zwingen. Besser schiene es, sowohl die Verteidigung als auch die Versorgung der Kommune in die Hand professioneller Freiwilliger zu legen, die für ihren kommunalen Dienst kommunal bezahlt werden. Die emotionale Frage, ob - zum Beispiel - österreichische Soldaten die Europäische Union an ihren Außengrenzen verteidigen und dabei möglicherweise sogar ihr Leben riskieren werden, wird in der schnöden Sphäre der steuerlichen Abgaben, wirtschaftlichen Beiträge und monetären Zuschüsse neutralisiert oder verschleiert.
Wenn notorisch unterbezahlte bulgarische Altenpfleger/innen die immer größer werdende Gruppe der Pflegebedürftigen innerhalb Österreichs (unter Preisgabe ihrer Familien, ihrer Sprache, ihres Landes, ihres Lebens?) betreuen und damit ausfallende österreichische Versorgungskräfte ersetzen, stellt sich die Frage: Ist das nun links oder rechts oder jenseits von beidem?
Ich denke, man muss nicht Carl-Schmitt- oder Ernst-Jünger-Jünger sein, um die Beibehaltung einer allgemeinen Wehr- und Präsenzpflicht für erstrebenswert zu erachten. Insofern der Präsenzdienst sowohl in seiner militärischen als auch in seiner zivilen Form den Druck des Kommunalen spürbar und präsent macht, wirft er Fragen auf, die jeder Demokrat auf sich wirken lassen sollte: Welcher Gemeinschaft fühle ich mich verpflichtet? Und das heißt wesentlich: Für wen oder was wäre ich bereit, mich einzusetzen, womöglich sogar "mit Leib und Leben"?
Im Jahre 2012 besitzen diese Fragen vielleicht ein anachronistisches Pathos, doch das ändert nichts an ihrer Dringlichkeit.
Demokratisierungseffekt
Ich selbst habe österreichische Grundwehrdiener mit türkischen Wurzeln gesehen, die ihre Uniform mit einigem Pathos zur Schau stellten, weil sie das demokratische Potenzial einer Uniform wie kaum ein Österreicher im wahrsten Sinne am ganzen Leib spürten. Und ich habe gesehen, wie sich die hochgezogenen Nasen all jener Günstlinge der Knabenstifte, Schottengymnasien und Forsthochschulen etwas senkten, als sie ins Korps der furzenden Grundwehrdiener gesteckt wurden, einen wackligen Rollstuhl durchs Altenheim schoben oder im verrauchten Rettungsauto auf ihren Einsatz warteten.
Beides hat mir Rechts-Linkem gut gefallen: die Osmanisierung des Bundesheeres und die Zivilisierung der Blaublütigen, weil dies der Entdemokratisierung entgegenwirkte und zugleich die Idee kommunaler Verpflichtung - wie pathetisch auch immer - in leibhaftige Praxis umsetzte. (Dominik Barta, DER STANDARD, 5.1.2013)