"Marias Schwestern": Vor der Kamera nahmen viele Mütter unbewusst eine Position ein, die an Marienbilder erinnert.

Foto: Irene Kernthaler-Moser, http://www.ikm-reportagen.net
Foto: Irene Kernthaler-Moser, http://www.ikm-reportagen.net

Wien - Die junge Frau sei ganz still geworden, als sie das Foto, auf dem sie mit ihrem Baby zu sehen ist, zum ersten Mal betrachtet hat, erinnert sich Katharina Kruppa. Und dann habe sie gesagt: "So zärtlich kann ich sein? So habe ich mich noch nie gesehen." Das sei für sie einer der berührendsten Momente gewesen, sagt die Wiener Kinderärztin und Psychotherapeutin. Eine andere junge Mutter habe vor Beginn des Projektes mit niemandem Blickkontakt aufnehmen können. "Nachdem sie das Foto gesehen hat, hat sie mich das erste Mal angeschaut", schildert Kruppa.

"Marias Schwestern" heißt das zu gleichen Teilen künstlerische wie therapeutische Projekt, das Kruppa, die die Baby Care Ambulanz im Preyer'schen Kinderspital leitet, gemeinsam mit der Fotografin und Künstlerin Irene Kernthaler-Moser verwirklicht hat. Finanziert wurde es mit dem Preisgeld für den Innovationspreis der Stadt Wien, den die Frühgeburtenstation und die Baby Care Ambulanz 2011 für ein Projekte für Kinder mit Neonatalem Abstinenzsyndrom erhalten hat.

Eines haben die abgebildeten Frauen gemeinsam - sie waren zu der Zeit der Schwangerschaft und Geburt in schwierigen Lebenssituationen: Schwere Erkrankungen, psychische Probleme, Gewalterfahrungen oder Drogenabhängigkeit haben es ihnen schwerer gemacht als anderen Frauen, in ihre Mutterrolle zu finden.

Zwischen Ideal und Realität

"Marias Schwestern" wurde das Foto-Projekt genannt, weil die junge Frauen - die jüngste war 17 Jahre, die Älteste Anfang 20 - mit ihren Kindern unbewusst eine Position eingenommen haben, die an Madonnen-Darstellungen aus der Renaissance erinnern, sagt Kernthaler-Moser. "Diese Bilder zeigen eine liebevolle Interaktion zwischen Maria und Jesus. Sie stehen aber auch für ein idealisiertes Mutterbild und heile Welt."

Die Fotoserie soll den Blick ändern - wie die Frauen sich selbst sehen, aber auch wie die Umgebung sie wahrnimmt. "Trotz aller Schwierigkeiten sind es Frauen, die eine innige Beziehung zu ihren Kindern haben", sagt die Fotografin.

Für die junge Mütter waren die Aufnahmen auch deshalb etwas Besonderes, weil viele nicht gewohnt sind, dass sich jemand für sie interessiert. Die Fotos sind in einer den Frauen vertrauten Umgebung im Kinderspital entstanden, alle vor einem schwarzen Hintergrund. Die einzige Bitte, die Kernthaler-Moser an die Frauen hatte, war, dass sie selbst etwas Blaues oder Rotes anziehen und die Kinder weiß gekleidet sein sollten.

"Die Aufnahmen zu machen war sehr nett", erzählt eine der Frauen, "andere Babys haben sich vor dem Blitz erschreckt, meine Kleine hat da erst recht neugierig hingeschaut." Nur wenn es Zeit zum Essen war, musste das ganze Team pausieren. "Aber sobald sie ihr Bäuerchen gemacht hat, konnte es schon wieder weiter gehen."

Besonders Frauen in Substitutionsprogrammen würden abschätzig behandelt, sagt Ärztin Katharina Kruppa. "Mütter, denen man ansieht, dass es ihnen nicht gut geht, werden etwa in der U-Bahn von anderen Fahrgästen angepöbelt." Dabei sei es medizinisch angeraten, dass die Frauen die Substitutionsmedikamente weiter einnehmen, weil ein Entzug während der Schwangerschaft Probleme für das Kind mit sich bringen könnte.

Muster durchbrechen

Die Forschung habe gezeigt, dass es für Mütter - und damit auch für ihre Kinder - nach der Geburt ein Zeitfenster gebe, in dem Muster durchbrochen werden können. Dafür wäre oft eine hochfrequente Psychotherapie sowie intensive Betreuung durch Sozialarbeiter erforderlich, betont die Medizinerin. Doch dazu fehle es an Geld und Strukturen.

Die Fotoserie "Marias Schwestern" ist ab kommenden Dienstag für Patientinnen und Besucher im Aufenthaltsraum der Frühgeburtenstation im Preyer'schen Kinderspital zu sehen und auf der Homepage der Fotografin. (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, 5./6.1.2013)