Touristenattraktion bis in die 1960er-Jahre: Eine kolorierte Aufnahme von Ada Kaleh um 1910.

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Adele Gaefer mit einem ihrer Bilder von Ada Kaleh. Ein Großvater war Türke, eine Großmutter Siebenbürger Sächsin.

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Wien - "Zu Hause sprachen wir Deutsch und Ungarisch. Die Männer sprachen Türkisch." Adele Gaefer ist auf einer Insel aufgewachsen, die vor 40 Jahren im Stauwasser des Donaukraftwerks Eisernes Tor versank. Heute lebt die Malerin in der Schweiz. Ihre Familiengeschichte spiegelt die Geschichte an der unteren Donau wider.

Die Großeltern waren siebenbürgisch-sächsischer, ungarischer und türkischer Herkunft. Das Haus des türkischen Großvaters stand auf der Insel Ada Kaleh. Die knapp zwei Kilometer lange und 500 Meter breite Donauinsel lag dort, wo die Felsen des Eisernen Tors sich bedrohlich aneinanderschieben, an der Pforte des Orients.

Der österreichische General Friedrich von Veterani erkannte die strategische Bedeutung der Insel und ließ 1689 eine Festung erbauen. Die 400 Mann starke und mit Kanonen bewaffnete Garnison wurde aber schon zwei Jahre später mit türkischer Hilfe von Imre Tököly vertrieben, der den Thron Siebenbürgens anstrebte. Im nächsten Jahr eroberten die Österreicher die Insel zurück. 1699, nach dem Frieden von Karlowitz, wurde die Insel wieder türkisch.

Während des zweiten österreichisch-türkischen Krieges (1716/1718) ordnete Prinz Eugen an, die Inselfestung, die nun "Neu-Orschowa" genannt wurde, auszubauen. Ein weiterer Krieg folgte. Durch den Friedensvertrag von Belgrad (1739) blieben die Kleinstadt Orschowa am linken Donauufer und die Inselfestung in den Händen der Osmanen. Nach einem 50-jährigen Frieden belagerten die Österreicher 1789 erneut Ada Kaleh. Die Insel aber blieb dem Osmanischen Reich zugehörig, während Orschowa/Orsowa wieder österreichisch wurde.

Nach dem Krimkrieg wurde die Macht an der unteren Donau neu verteilt. Beim Berliner Kongress 1878 wurde der Fluss als Grenze zwischen Rumänien und Bulgarien auf der Höhe des Eisernen Tores zwischen Österreich-Ungarn, Rumänien und Serbien festgelegt. Eines hatten die Diplomaten in Berlin vergessen: die türkische Festungsinsel Ada Kaleh. Zwar wurde die Insel entmilitarisiert, sie war aber exterritoriales Gebiet des Sultans - obwohl die Grenze des Osmanischen Reiches nun 1000 Kilometer östlich lag.

Zugleich aber stand die Insel unter österreichisch-ungarischer Verwaltung. Ihre Bewohner hatten das Recht auf einen eigenen Murdir (Bürgermeister), einen Kadi (Richter), einen Imam (Geistlichen) und auf die türkische Fahne. Eine Zigarettenfabrik gab den Bewohnern Arbeit. Die Insulaner genossen Steuer- und Zollfreiheit und durften nicht zum Wehrdienst einberufen werden.

"Insel des Islams"

Egon Erwin Kisch beschrieb die Insel in Auf der Wacht gegen die Serben: " Dort, wo Ungarn, Serbien und Rumänien zusammenstoßen, ist ein Stückchen türkischster Türkei unversehrt übrig geblieben. Im Strome des Christentums liegt es da, eine Insel des Islams." 1913, vor hundert Jahren, wurde sie staatsrechtlich von Österreich-Ungarn annektiert. Nach dem Zerfall Österreich-Ungarns schlossen sich die Bewohner von Ada Kaleh 1923 Rumänien an.

Kein Donaureisender hat es verabsäumt, die Minarette zu bewundern, von der Exotik der "Kleinen Türkei" zu schwärmen. Die Kurgäste aus dem nahen Baile Herculane (Herkulesbad) kamen "Orient schauen", und auch der Schmuggel blühte.

Der Kaffee wurde in Kupferkannen auf heißem Sand gekocht. Im Bazar wurde Rosenrahat, eine Süßigkeit aus Rosenblättern, angeboten. Der Großvater von Adele Gaefer verkaufte Feigensirup. Adele besuchte die zweiklassige Grundschule. Eine Stunde pro Tag wurde Türkisch unterrichtet. "Wir Kinder sammelten Rosenblätter und führten die Touristen über die Kasematten." Die Reisenden kamen mit Schiffen aus Wien und Budapest.

Bis zum Schluss lebten an die 500 Menschen auf der Insel. Die Bauarbeiten für die Staustufe Eisernes Tor dauerten sieben Jahre. Vorn die Inselidylle, im Hintergrund schwere Baumaschinen. Dagegen half auch nicht der Heilige Miskin Baba. Wenn es Probleme gab, holten sich die Inselbewohner eine Handvoll Erde von seinem Grab und legten sie unter den Kopfpolster. Dann träumten sie die Lösung.

Die "Lösung" hieß umsiedeln. Die meisten gingen in die Türkei und zogen nach Europa oder Amerika weiter. Adeles Familie - die Großmutter war Siebenbürger Sächsin - zog nach Deutschland. Davor wurde das Haus des Großvaters für Filmaufnahmen in die Luft gejagt. Zwischen 1968 und 1971 wurden die Festungsmauern von Ada Kaleh abgetragen. Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, begann der rumänische Staat, auf Simian, einer Donauinsel bei Turnu Severin, die Festung halbherzig wiederaufzubauen.

"Mein Vater ist vergangenes Jahr gestorben. Immer wenn ich ihm eine Freude machen wollte, erzählte ich ihm von unserer Insel." Eigentlich wollte Adele Gaefer nie mehr dorthin fahren und ins Donauwasser schauen. Dann fuhr sie doch. Irgendwann wird sie ein Buch schreiben. Über eine Heimat, die nicht mehr ist. (Mella Waldstein, DER STANDARD, 8.1.2013)