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Lars Feld: "Man kann die Banken nicht über einen Kamm scheren."

Foto: AP/Berthold Stadler

Kurzfristig sind die Zentralbanken dazu übergegangen, die Finanzmärkte zu beruhigen, anstatt Inflation zu bekämpfen, sagt der Wirtschaftsweise Lars Feld. Nach den Gefahren dieser Politik hat Lukas Sustala gefragt.

STANDARD: An den Kapitalmärkten wurde zuletzt gejubelt, gerade auch in Europa. Haben uns die Zentralbanken vom finanziellen Abgrund zurückgezogen?

Feld: Das akute Krisenmanagement der Europäischen Zentralbank (EZB) war erfolgreich. Das erkennt man etwa an den Zinsen, die in Spanien oder Italien gefallen sind. Das Vertrauen in den Erhalt der Eurozone ist wieder da. Allerdings ist dieses Vertrauen nicht robust, sondern brüchig. Kleinere Veränderungen, wie die politische Kandidatur von Silvio Berlusconi in Italien, können die Märkte irritieren.

STANDARD: Die Zentralbanken haben 2012 wichtige Weichenstellungen vorgenommen, so hat etwa die US-Fed im Dezember erstmals Grenzwerte für die Arbeitslosigkeit festgelegt. Sie will die Zinsen damit länger bei null lassen. In den USA scheint man davon abzugehen, die Inflation zu bekämpfen.

Feld: Die wichtigsten Notenbanken der Welt wenden sich von der Geldwertstabilität als dominantem Ziel ab, das Hauptziel ist die Stabilität der Finanzmärkte geworden. Es bleibt abzuwarten, ob die US-Notenbank tatsächlich stärker auf die Arbeitslosigkeit abzielen wird. Die Fed hatte ja schon bisher eine zweigleisige Politik gefahren. Neben einem Inflationsziel hat sie sich darauf konzentriert, die Arbeitslosigkeit gering zu halten. Ich würde noch nicht von einem Paradigmenwechsel sprechen, aber die Prioritäten, auch in Großbritannien, haben sich verschoben.

STANDARD: Und die Prioritäten der EZB sind gleich geblieben?

Feld: Ich habe den Eindruck, dass sie sich ebenfalls umorientiert. Das geht noch nicht so weit, dass die Geldwertstabilität in den Hintergrund gerückt ist. Aber man hat sich schon stärker in Richtung des Ziels Finanzmarktstabilität bewegt.

STANDARD: Das ist nachvollziehbar. In seiner letzten Rede 2011 hatte Jean-Claude Trichet seine Amtszeit an der EZB-Spitze mit einer einzigen Zahl als Erfolg zusammengefasst: 1,97 Prozent Inflation. Gleichzeitig hatte eine schwere Krise die Finanzmärkte erschüttert.

Feld: Es war problematisch, dass Trichet diese eine Zahl als Ausweis seines Erfolgs gesehen hat. Die Situation auf den Finanzmärkten und die Weichenstellungen für die Zukunft spielen ebenfalls eine Rolle in der Beurteilung der Geldpolitik. Neben den Konsumentenpreisen muss die Kreditvergabe der Banken Beachtung finden.

STANDARD: Heute kümmert sich die EZB viel stärker um das Wohlergehen von Banken und hat Milliarden in sie gepumpt. Destabilisiert sie damit die Preise, die die Konsumenten im Alltag zahlen müssen?

Feld: Die massive Lockerung der Geldpolitik erzeugt ein großes Inflationspotenzial. Ob sich das in Steigerungen der Konsumentenpreise oder der Vermögenspreise niederschlagen wird, ist derzeit offen. Wir haben heute ähnliche Probleme wie nach der Dotcom-Krise, als die Zinsen zu lange niedrig gehalten wurden und dadurch Blasen entstanden sind.

STANDARD: Also gibt es einen Konflikt zwischen der Stabilisierung der Finanzmärkte und der Preisstabilität?

Feld: Ich bin hier sehr vorsichtig, von eindeutigen Zusammenhängen zu sprechen. Diese Ziele können sich verstärken, aber auch in Konflikt zueinanderstehen. Wenn sich eine Zentralbank um Finanzmarktstabilität kümmert und zugleich für stabile Preise sorgen soll, könnte die mangelnde Gesundheit eines Finanzinstituts gegen steigende Zinsen sprechen, obwohl die Inflation ansteigt.

STANDARD: Dieser Fall, dass Banken mit Inflation geholfen wird, könnte uns aber drohen. Heute sind viele europäische Geldhäuser von niedrigen Zinsen abhängig.

Feld: Hier sind sicherlich Inflationsprobleme angelegt. Aber man kann die Banken nicht über einen Kamm scheren. Es gibt hoch verschuldete Banken, die von den niedrigen Zinsen profitieren, andere Geldinstitute und die Lebensversicherungen aber leiden darunter. Diese warnen bereits vor finanzieller Repression.

STANDARD: Das wäre die Gefahr für Sparer?

Feld: Genau. Die Altersvorsorge ihrer Kunden kommt in Bedrängnis. Heute existieren angesichts der niedrigen Zinsen reale Gefahren. Erstens die Inflation, zweitens die Aufblähung vieler Wertpapierpreise und drittens im Hinblick auf die risikoaversen Finanzakteure, deren Ersparnisse entwertet wird. (DER STANDARD, 8.1.2013)