"Mein Garten ist mir passiert", sagt Georg Grabherr, vor ihm eine 25 Jahre alte Bonsai-Eiche. "Die Haltung der Natur, dem Spontanen gegenüber wird immer feindlicher", meint der Vegetationsökologe. Er untersucht die Anpassung von Arten in allen Lagen, von den Donauauen bis ins Hochgebirge.

Foto: STANDARD/Corn

Wie ein stolzer Feldherr führt Georg Grabherr durch seinen Garten in Königstetten nahe Tulln. Was auf den ersten Blick wie eine traurige Gstätten im Winter aussieht, entpuppt sich als ein kleines Paradies: Eine Bonsai-Eiche, ein mit Kletterrosen überwucherter Baumstumpf, Fiederzwenke, Schachtelhalm, Giersch – hier wuchert alles, wie es will. Unter der Aufsicht des Botanikers selbstverständlich, der einen "Dialog" mit den 300 Arten führt – und auch einmal brutal zurückschneidet.

Drinnen, in einer "Scheidungsruine", die er vor mehr als 20 Jahren mit seiner Frau Traudl, ebenfalls Botanikerin, bezog, blühen Orchideen im Dschungel des Wintergartens. Grabherr, bei dem das Vorarlbergische noch sehr präsent ist, hat immer eine Anekdote parat, nicht nur über seine Lieblingsblume, das Bodensee-Veilchen, als dessen Retter er gilt.

Engagiert war er auch stets für den Schutz der Donauauen – zuletzt als Verfechter eines umstrittenen Pilotprojekts. "Die freie Natur ist unsere Freiheit" steht auf dem Hundertwasser-Plakat zur Hainburg-Besetzung, das gegenüber dem Eingang hängt. Für die letzte Nacht der Besetzung ist er aus Innsbruck angereist. Er sei schon irgendwo ein 68er gewesen, "aber eher ein harmloser".

Einen Namen als Wissenschafter hat er sich als präziser Erforscher der Auswirkungen des Klimawandels auf das alpine Ökosystem gemacht, auf die er schon vor knapp 20 Jahren hinwies. Das von ihm initiierte Netzwerk " Gloria" untersucht mittlerweile auf 114 weltweiten Probeflächen, inwieweit sich die Vegetation ändert.

STANDARD: Was macht einen "Garten für das 21. Jahrhundert" aus, so der Titel Ihres jüngsten Bandes, der sich um Ihren Hausgarten dreht?

Grabherr: Wir leben in einer urbanisierten Welt. Die alltägliche Naturerfahrung verschwindet. Am ehesten kann ich sie finden, wenn ich im eigenen Garten experimentiere, zulasse, schaue. Die meisten wollen keine Arbeit haben mit dem Garten und fahren mit dem Rasenmäher drüber. Ich sitze oft in meinem Kommandosessel auf der Veranda und tu gar nichts. Die Haltung der Natur, dem Spontanen gegenüber scheint mir immer feindlicher zu werden. Letzte Flüsse werden verbaut, die Straßenränder bis zur Bodenkrume gemäht. Vor 20 Jahren ist man durch ein blühendes Niederösterreich gefahren, roter Mohn, Salbei. Heute ist es wie weggesäbelt.

STANDARD: Und im Garten sollen die Pflanzen Zuflucht finden?

Grabherr: Mein Garten ist mir passiert, er ist spontan gewachsen. Ein Zweck dieser Natürlichkeit ist neben der Ästhetik und dem Praktischen das Arche-Noah-Prinzip: Hier können Veilchen unterkommen, wenn um uns herum gespritzt und geackert wird. Das kann ein jeder haben. Er muss es nur zulassen und das nicht als unordentlich empfinden. Es hat seine eigene Ordnung. Ich lerne daraus, wie Pflanzen sich gegenseitig helfen oder konkurrieren. Die Arten sind die Vokabeln der Natur. Ich tue nichts anderes, als herauszufinden, was miteinander wächst.

STANDARD: Und dazu muss man die Sprache der Natur lernen?

Grabherr: Wir haben circa 3000 Blütenpflanzen in Österreich, in meinem Garten gibt es 300. Ich als Profi kenne wahrscheinlich fast 10.000, der Normalverbraucher vielleicht fünf. Und die Natur, von der wir lernen sollten, verschwindet vor unseren Augen.

STANDARD: Sie haben sich einmal als einen der letzten Blumenklauber bezeichnet. Sollte man das wieder mehr kultivieren?

Grabherr: Das ist nie kultiviert worden. In den 50er-Jahren sind wir durch blühende Wiesen gerannt. Jetzt haben wir durch die intensive Milchwirtschaft eine grüne Suppe. Die gepflegte Natur, die heutzutage so gepriesen wird, das sind doch oft Papplandschaften, da muss Leben hinein. Im Weinviertel gibt es vielleicht fünf bis zehn Prozent Spontannatur, die man zulassen kann, man muss ja auch von was leben. Ich will vor allem der diffusen Verdrängung von Natur gegensteuern.

STANDARD: In Ihren Forschungen haben Sie sich vor allem mit dem Klimawandel im Gebirge beschäftigt. Werden Edelweiß und Enzian in den Alpen verschwinden?

Grabherr: Die erste Frage ist nicht: Stirbt etwas aus? Sondern: Spielt sich was ab? Ich verwende die Vegetation als Signal, was der Klimawandel schon effektiv bewirkt. Im Kulturland und Siedlungsraum, auch im Wald, ist der Eingriff des Menschen bereits so hoch, dass man den des Klimas schwer bestimmen kann. Der Bauer mit dem Güllefass ersetzt 100 Jahre Klimawandel! Wenn eine Veränderung in der Vegetation zu beobachten ist, dann dort oben.

STANDARD: Inwieweit hat der Klimawandel schon eingeschlagen?

Grabherr: Wir können sagen, der Klimawandel ist ökologisch wirksam. Das kann das Wachstum der Pflanzen betreffen, aber auch den Artenbestand. Wir filtern heraus, ob Arten abnehmen und andere hinzukommen auf den Probeflächen, die wir regelmäßig beobachten. Wir lesen also die Natur ab. Das nutzen wir, um eine sichere Datenwahrheit anzubieten. Wenn wir sagen, wir sehen eine deutli-che Thermophilisierung – also dass Arten, die normalerweise in tieferen Lagen wachsen, plötzlich in höheren auftauchen -, dann kann das niemand wegleugnen.

STANDARD: In einer kürzlich in "Science" veröffentlichten Studie haben Sie und Ihre Kollegen gezeigt, dass im Schnitt die Artenvielfalt auf den Gipfeln gestiegen ist. Was ist schlecht daran?

Grabherr: Wenn Pflanzen von unten weiter hinaufwandern, kann es natürlich auch Ausrottungs- und Aussterbeeffekte geben. Man kann unter Umständen auf 2000 Meter, wo es früher noch drei, vier wirklich kälteadaptierte Pflanzen gab, mehr Arten finden, aber die Kältearten sind weg. Wenn es dann nicht mehr höher hinauf geht, dann gehen diese Arten in den Himmel. Da kann durchaus was verlorengehen, und zwar gar nicht so wenig. Es geht schließlich um das Erbe von zehn Millionen Jahren.

STANDARD: Wie sexy kann Naturschutz heute noch sein?

Grabherr: Naturschutz oder vielmehr Naturschutzliteratur ist in der Regel fad. Es stimmt. Das Thema ist meistens traurig – es ist wieder ein Viech verreckt. Um die Ausrottung von Pflanzen kümmert sich eh kaum einer mehr, das ist nicht so dramatisch. Da spielt das Fernsehen eine große Rolle: Eine Pflanze bewegt sich nicht. Schaut ja keiner an.

STANDARD: Was kann man dagegen tun?

Grabherr: Man muss neue Zugänge finden, die nicht fad sind. Naturschutz ist eine Erfolgsstory. Es gibt genug spannendes Material. Ein Beispiel aus Vorarlberg: Mitten im Rheintal rund um die Ruine Neuburg sollte 1971 das Open-Air-Festival Flint zum zweiten Mal stattfinden, eine Art Woodstock in Vorarlberg. Die Landesregierung samt dem Bischof war aus dem Häusl und hat das Gebiet unter Naturschutz gestellt, um das Konzert verbieten zu können.

STANDARD: Apropos Politik: Wie wichtig ist für Sie politisches Engagement, und inwieweit muss man mit Vereinnahmung rechnen?

Grabherr: Ich bin immer danach gegangen, wo ich was erreichen kann. Für mich war immer der Schutzerfolg das Ziel. In Vorarlberg bin ich als Vorsitzender des Naturschutzrates mit der schwarzen Landesregierung im Bunde. Meine Familie war erzkonservativ, schwarz und katholisch. Aber ich habe nie verheimlicht, dass ich die Grünen wähle, seit es sie gibt. Ich bin WWFler seit Anbeginn. Meine Philosophie ist die: Reflexartig dagegen zu sein spielt's nicht. Also arrangieren, solange das Argument zählt. Schützen durch Überzeugen, das war immer meine Grundhaltung. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 09.01.2013)

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Wissen: Wissenschafter des Jahres

Seit 1995 verleiht der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten die Auszeichnung Wissenschafter des Jahres – jeweils für das abgelaufene Jahr. Der Titel geht an Forscher, die ihr Fach besonders gut in der Öffentlichkeit vermitteln. Damit verbunden ist eine Einladung des Office of Science and Technology (OST) an der österreichischen Botschaft in Washington zu einem Vortrag. Gekürt wurden u. a. die Archäologin Sabine Ladstätter (2011), der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal (2010), der Experimentalphysiker Rudolf Grimm (2009), der verstorbene Literaturwissenschafter Wendelin Schmidt-Dengler (2007), der Immunologe Josef Penninger (2003) und die Mikrobiologin Renée Schroeder (2002). (red)