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"Es wird schwarz vor den Augen. Man kann nicht mehr, ist absolut am Ende", beschreibt Johannes Dürr seine Erfahrungen.

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Bei der Tour de Ski 2013 hatte der Niederösterreicher endlich gut lachen. Ein achter und ein vierter Platz standen zu Buche.

Foto: joeduerr.at

Bei der WM in Val di Fiemme wird Dürr (rechts) die Doppelverfolgung über 30 km und die 15 km im freien Stil laufen.

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Wien - 53., 56., 53., 33., 62.! Langläufer Johannes Dürr hatte sich seinen Saisonauftakt auch anders vorgestellt. Mal war es die Tagesverfassung, dann wieder das Material. Umso überraschender kam der achte Platz über 15 km klassisch auf der vorletzten Etappe der prestigeträchtigen Tour de Ski.

Den ersten Weltcuppunkten des Niederösterreichers folgte auf der Schlussetappe, einem mörderischen Berglauf über neun Kilometer, gar ein vierter Tagesplatz in Val die Fiemme. Über die plötzliche Ankunft in der Weltspitze sprach der Läufer mit Philip Bauer.

derStandard.at: Sie sind auf der siebenten Etappe der Tour "fünf Tode am letzten Aufstieg" gestorben. Wie fühlt sich das konkret an?

Johannes Dürr: Es wird schwarz vor den Augen. Man ist nicht mehr Herr seiner Sinne. Man kann nicht mehr, ist absolut am Ende. Aber dann blickt man den Hang hinauf und denkt sich: ich muss da hinauf, ich muss, es muss weitergehen, koste es was wolle. Dort hinauf komme ich aber nicht mehr mit dem Körper, sondern mit dem Kopf.

derStandard.at: Welches Signal gibt Ihnen der Körper vor Erreichen der Leistungsgrenze?

Dürr: Ganz einfach, er rennt nicht mehr schneller. Der Kopf sagt mir schon zuvor, dass das jetzt allmählich sehr weh tut. Man lernt als Sportler zwar die Schmerzen zu ignorieren, aber es ist immer wieder eine Herausforderung. Gerade bei so einem extremen Aufstieg wie auf der letzten Etappe der Tour de Ski.

derStandard.at: Diese Etappe war eines der brutalsten Rennen überhaupt. Ausgerechnet dort wurden Sie Vierter. Gibt es Ihnen nicht genug harte Rennen?

Dürr: (lacht) Ich kann Ihnen eines sagen, es ist jedes Rennen unglaublich brutal. Jeden Hügel Vollgas nehmen, das ist mindestens genauso hart.

derStandard.at: "Muskelkrämpfe, brennen in der Lunge und der Kopf kurz vor dem Platzen", lese ich auf Ihrer Webseite und lehne mich gemütlich in den Bürosessel. Was gefällt Ihnen daran?

Dürr: Ich will meine persönliche Grenze finden. Ich will ans Limit gehen, und im besten Fall darüber hinaus. Dazu muss man wohl ein bisschen verrückt sein. Und Schmerzen akzeptieren.

derStandard.at: Sie mögen Schmerzen, oder?

Dürr: (lacht) Na sicher wird da viel Adrenalin ausgeschüttet. Und im Nachhinein, wenn sich die Anstrengungen ausgezahlt haben, sind die Glücksgefühle unbeschreiblich. Dieses Gefühl kann ich auf keinem anderen Weg erreichen.

derStandard.at: Erfahren Sie dieses Glück nur im Wettkampf oder auch im Training?

Dürr: Es gibt für mich nichts Schöneres, als im Training über eine unberührte Loipe durch einen verschneiten Wald zu fahren. Ich bin unglaublich gern in der freien Natur, allein mit meinen Gedanken. Manchmal konzentriert auf die Technik, manchmal einfach nur genießen. Das gibt mir so viel.

derStandard.at: Im Rennen selber ist dann aber Schluss mit dem Genuss.

Dürr: Das sind natürlich zwei Paar Schuhe. Zunächst muss man gerne trainieren, das machen aber viele. Also muss man im Rennsport zudem ein bestimmtes Ziel mit fixer Konsequenz verfolgen.

derStandard.at: Wie lautet denn Ihr Ziel?

Dürr: Ich will der Beste der Welt werden. Dafür kämpfe ich mittlerweile seit zehn Jahren. Und Schritt für Schritt komme ich diesem Ziel näher.

derStandard.at: Schien die Weltklasse immer erreichbar? Hatten Sie nie Zweifel an Ihrem Vorhaben?

Dürr: Fünf Jahre war ich mir nicht wirklich sicher. Aber tief in mir drin habe ich gespürt: Junge, das kann noch nicht alles gewesen sein, da geht viel mehr. Deswegen habe ich immer weitergemacht. Das Warten war extrem hart, jetzt hat es sich ausgezahlt. Der Anfang ist gemacht, ich habe es endlich schwarz auf weiß.

derStandard.at: Aber es muss alles zusammenpassen.

Dürr: Die Spitze ist wirklich extrem dicht. Wenn das Material nicht hundertprozentig mitspielt oder ich mich in einer schlechten Tagesverfassung befinde, verliere ich auf 15 Kilometern 30 Sekunden. Und dann bin ich nirgends mehr. Da geht es um die kleinsten, entscheidenden Nuancen.

derStandard.at: Wie schaffen es dann die Topläufer, immer rechtzeitig ihre Höchstleistung abzurufen?

Dürr: Die kennen ihre Körper sehr, sehr gut. Sie wissen ganz genau, was zu tun ist. Dafür benötigt man viel Erfahrung, das funktioniert nicht beim ersten Mal. Glauben Sie mir, man macht oft genug etwas falsch, aber irgendwann bekommt man ein Gefühl dafür.

derStandard.at: Sie waren lange krank, litten unter anderem an Pfeifferschem Drüsenfieber. Wie hat sich das auf Ihr Körpergefühl ausgewirkt?

Dürr: Bevor ich krank wurde, war ich in der Juniorenklasse schon in der Weltspitze. Damals wusste ich genau was und wie viel ich tun muss, das hat mich ausgezeichnet. Die Trainer haben mir vertraut. Mit der Krankheit habe ich dieses Gefühl komplett verloren. Ich musste wieder von null anfangen.

derStandard.at: Unter "Erfolge" führen Sie auf Ihrer Webseite für die Saison 2009/10 "Ein ganzes Jahr gesund!" an. Haben Sie immer den Humor bewahrt?

Dürr: Wenn man nicht mit einem gewissen Humor durch das Leben geht, wird man wohl häufig scheitern. Das ist doch das Wichtigste überhaupt: Spaß am Leben, Spaß an der Tätigkeit.

derStandard.at: War der Gedanke an ein Karriere-Ende bei aller Lebensfreude nicht trotzdem verlockend?

Dürr: Der war sicher verlockend. Natürlich fragt man sich irgendwann: warum tu ich mir das alles an? Ich war im Niemandsland, musste schauen, dass ich bei den österreichischen Meisterschaften unter die Top 30 komme. Das kann man auch nicht von heute auf morgen ändern, ich hatte einen langen Prozess vor mir.

derStandard.at: Wie sind Sie diese Situation psychisch angegangen?

Dürr: Man muss vor allem die Nerven bewahren, ruhig bleiben. Immer einen Schritt nach dem anderen machen. Sonst stolpert man.

derStandard.at: Und wer hat damals noch an Sie geglaubt?

Dürr: Langlaufchef Gandler und Cheftrainer Heigl hatten immer Vertrauen in meine Leistungsfähigkeit. Die haben meinen Absturz gesehen, aber auch gesagt: "Das kriegen wir schon hin. Das braucht seine Zeit, aber wir kriegen es hin." Ich kann diesen Menschen gar nicht genug danken. Auch nicht meiner Familie. Was die mitmachen mussten, war nicht immer lustig. Jetzt konnte ich endlich etwas zurückgeben.

derStandard.at: Sie haben sieben Geschwister. War das schon die ideale Vorbereitung für den Massenstart?

Dürr: (lacht) Da war schon immer was los. Für meine persönliche Entwicklung war das sicher prägend. Meine Familie hat mich immer unterstützt - sowohl finanziell als auch mental.

derStandard.at: Die aktuelle Saison haben Sie mit ihrem Team akribisch geplant, so haben Sie zum Beispiel den Weltcup-Auftakt ausgelassen. Welche Überlegung stand dahinter?

Dürr: Wir haben uns die WM und die Tour de Ski als große Ziele gesetzt, und bei der Tour vor allem die letzte Etappe. Eigentlich bin ich die ganze Tour nur für diesen Anstieg gelaufen. Wir haben gewusst, dass wir dort nicht gut sein können, wenn wir im Dezember nach Kanada reisen. Dazu reicht die Kraft nicht.

derStandard.at: War auch die Verkleinerung des Langlaufteams für den Erfolg entscheidend?

Dürr: Absolut. Man kann viel besser auf den einzelnen Sportler eingehen, die Probleme individuell behandeln. Auch bei meinen Teamkollegen läuft es ja sehr gut.

derStandard.at: Sie und ihre Kollegen sind Teil einer Langlauf-Generation, die es nach dem Doping-Skandal von Turin nicht einfach hatte. Gekürzte Mittel, schlechtes Image - wie hat sich das ausgewirkt?

Dürr: Ich war ein junger Sportler, der plötzlich Fragen beantworten muss, auf die er überhaupt keine Antworten hat. Ich habe die Ereignisse ja auch nur im Fernsehen verfolgt. Aber plötzlich ging es nicht mehr um den Sport oder um Leistung, sondern nur mehr um das Thema Doping.

derStandard.at: Hat sich die Situation seither normalisiert?

Dürr: Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, das ist eine neue Generation. Die Österreicher werden wieder begreifen, dass Langlaufsport nicht gleich Doping ist.

derStandard.at: Die Österreicher hätten Sie auch bei Rapid sehen können. Sie waren ein talentierter Fußballer, haben in Hütteldorf ein Probetraining absolviert.

Dürr: Ich habe wahnsinnig gerne gespielt, bin aber vom Typ her einfach kein Fußballspieler. Ich habe mich in dieser Szene nicht wohl gefühlt. Ich brauche das Familiäre, die Natur, all das habe ich im Langlauf gefunden.

derStandard.at: Moment, Sie wollen also nicht wie ich den ganzen Tag im Büro sitzen?

Dürr: Ein absoluter Albtraum. Wenn ich aus dem Fenster sehe, will ich raus. (Philip Bauer; 10. Jänner 2013)