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PKK-Mitbegründerin, Waffenbeschafferin und Strategin: Sakine Cansiz - hier in einem Archivbild von 1995 - galt als Vertraute des PKK-Führers Öcalan. Ihre Ermordung in Paris könnte eine Kampfansage von Teilen der PKK gegen den Friedenskurs sein.

Foto: REUTERS/Ihlas News Agency

Eine verschlossene Tür ist noch das stärkste Indiz für alle jene in der Türkei, die den kaltblütigen Mord an drei kurdischen Aktivistinnen in Paris verstehen wollen, nur wenige Tage nach dem neuerlichen Beginn eines Dialogs zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Untergrundarmee PKK.

Von "technischen Details", die interessant seien, sprach der türkische Premier Tayyip Erdogan am Freitag. Soll heißen: Die offenbar unversehrte elektronische Tür, welche die Mörder nach ihrer Tat im " Kurdistan-Informationszentrum" in Paris schlossen, deutet auf Insider hin - eine Abrechnung innerhalb der PKK zwischen Leuten, die den Frieden wollen, und anderen, die ihn verhindern möchten. "Sie öffneten jemandem die Tür, den sie kannten", mutmaßte Erdogan vor Journalisten über die drei Frauen, die als Vertreter der PKK in Europa bekannt waren.

Nationalistische Kreise

Doch andere Spekulationen und Komplotttheorien konnten Erdogan ebenso wie der Vizevorsitzende der Regierungspartei AKP, Hüseyin Çelik, der sich am Donnerstag ähnlich geäußert hatte, nicht verhindern: Die Morde von Paris könnten auch von dunklen nationalistischen Kreisen ausgeübt worden sein, die strikt gegen eine Verhandlungslösung mit der PKK seien, so hieß es. Oder gar im Auftrag der türkischen Regierung, die rasch führende Köpfe der Guerillabewegung ausschalten wollte. Das deutete etwa Mehmet Baransu an, ein investigativ arbeitender Journalist der Tageszeitung Taraf. "Lasst mich das so klar sagen, wie es ist", twitterte der renommierte Reporter: "Wenn die 20 wichtigsten Namen der PKK umgebracht werden, verliert die Organisation 90 Prozent ihrer Wirksamkeit. Warum? Eben deshalb."

Die Waffenbeschafferin

Ein solcher wichtiger Kopf war Sakine Cansiz, eine der drei Frauen, die in der Nacht zu Donnerstag im "Kurdistan-Informationszentrum" mit Kopfschüssen getötet worden waren. "Cansiz ist der Finanzier, die Waffenbeschafferin und taktische Strategin der PKK", schrieb Ross Wilson, ein amerikanischer Botschafter in Ankara, 2007 laut Wikileaks in einer Mitteilung an das US-Außenministerium.

Cansiz, 2007 von den deutschen Behörden für 40 Tage festgenommen und dann freigelassen, galt andererseits aber auch als Vertraute des PKK-Gründers Abdullah Öcalan. Ihre Ermordung lässt sich demnach als Kampfansage an den inhaftierten Öcalan verstehen, von PKK-Führern in den nordirakischen Bergen gemacht, die keine Aussöhnung wollen.

Der türkische Geheimdienst soll auch schon den Namen des möglichen Auftraggebers haben: Fehman Hüseyin alias "Bahoz", ein Kommandant der auch von der EU als Terrororganisation eingestuften PKK, habe bereits in der Vergangenheit eine Meinungsverschiedenheit mit Cansiz gehabt. Die Mitbegründerin der PKK hatte sich gegen die Entsendung von Frauen in Selbstmordkommandos ausgesprochen, schrieb die Zeitung Cumhuriyet unter Berufung auf Sicherheitskreise in Ankara.

Auf das Konto von "Bahoz" soll auch der Sturm auf einen Gendarmerieposten im türkisch-irakischen Grenzgebiet zu Beginn der Woche gegangen sein. An die 100 PKK-Kämpfer hatten den Posten unter Beschuss genommen. Es war der erste Versuch, die beginnenden Gespräche zwischen Ankara und der PKK über eine Amnestie und Wiedereingliederung in die Gesellschaft aus dem Gleis zu werfen.

Die Wahrheit über die Morde in Paris müsse von den französischen Ermittlern rasch ans Tageslicht gebracht werden, forderte Selahattin Demirtas, der Chef der Kurdenpartei im türkischen Parlament; er reiste zum Begräbnis der Frauen nach Paris. Eine andere BDP-Politikerin wies die Theorie über eine interne Abrechnung innerhalb der PKK zurück: Regionale Mächte könnten hinter den Morden stehen, sagte Ayse Tugluk. (Markus Bernath, DER STANDARD, 12.1.2013)