Veit Sorger und Hannes Androsch diskutieren im gläsernen Konferenzraum vor dem neuen Newsroom des Standard über das Für und Wider der Wehrpflicht.

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Veit Sorger und Hannes Androsch haben vor dem STANDARD-Streitgespräch noch kurz erläutert, warum sie wofür sind.

STANDARD: Herr Androsch, haben Sie den Präsenzdienst absolviert?

Androsch: Ja, ich bin stolzer Heeres-Lkw-Fahrer.

STANDARD: Da haben Sie ja tatsächlich etwas gelernt und beim Heer wenigstens den Führerschein gemacht.

Androsch: Den Lkw-Führerschein. Aber ich bin dann nicht nebenberuflich Fernfahrer geworden.

STANDARD: Herr Sorger, wie ist Ihr Präsenzdienst verlaufen?

Sorger: Ich war nach dem Studium neun Monate beim Bundesheer, ich habe also die volle Zeit gemacht. Das war 1965, ich war in Fehring. Das war die exponierteste Kaserne in Österreich, nahe der ungarischen Grenze. Die Kaserne hatte durch das feindliche Visavis und den Stacheldraht auch einen besonderen Ruf, da gab es wirklich eine besondere Strenge und Disziplin. Ich hatte damals positive Erlebnisse gehabt, aber auch negative. Mitgenommen habe ich die Beobachtung einer Integration: Wie es funktioniert, mit unterschiedlichen Gesellschaftsschichten auf sehr engem Raum zusammen zu sein, das ist mir wirklich in Erinnerung geblieben.

STANDARD: Haben Sie das nicht als Zeitverschwendung empfunden?

Sorger: Ich bin in einer so unglaublich geschützten Umgebung aufgewachsen, dass es mir sicher nicht geschadet hat, diese Zeit in einem anderen Umfeld zu verbringen.

STANDARD: Der Ton zwischen den Koalitionsparteien wird zunehmend schärfer, haben Sie nicht Angst, dass diese Volksbefragung für einen Vorwahlkampf missbraucht wird?

Androsch: Die Befragung an sich ist ein Missbrauch der direkten Demokratie. Wir engagieren uns, weil wir Sachlichkeit in die Diskussion bringen wollen. Mit der Entscheidung, wie immer sie ausgeht, muss man auch am Tag danach leben können. Das große Problem dieser Befragung ist die kurze Zeit, die für eine Diskussion bleibt. Sicherheitspolitik ist seit dem Staatsvertrag in Wirklichkeit nie im öffentlichen Diskurs gestanden. Wir haben damals gesagt, wir sind neutral und die Amerikaner schützen uns. Neutral sind wir formal immer noch, auch wenn wir im Jugoslawien-Konflikt alles andere als neutral waren, und die Amerikaner schützen uns nicht mehr. Also müssen wir uns als Europäer künftig unter ganz anderen Bedrohungen selber schützen. Und das müssen wir können. Das ist mit einem sechsmonatigen Wehrdienst einfach nicht handhabbar.

STANDARD: Ist es nicht seltsam, dass sie die Volksbefragung für Unfug halten und gleichzeitig ein Personenkomitee anführen?

Androsch: Aus genau den Gründen. Sicherheitspolitik ist ein zu wichtiges Thema. Wir sind nicht mehr von Panzern bedroht, sondern durch chemische Waffen oder Cyber-Attacken. Wir müssen uns auf ganz andere Bedrohungen einstellen, mit einer ganz anderen Militärtechnologie.

STANDARD: Haben Sie Angst, dass dieses Vorwahlgeplänkel die Leute abhalten könnte, zur Abstimmung zu gehen, weil sie den Eindruck haben, nur für die SPÖ oder für die ÖVP abzustimmen?

Sorger: Ich teile mit Dr. Androsch: das Unbehagen, dass keine politische Lösung zustande gekommen ist. Aber jetzt ist diese Abstimmung hier, und ich kann ihr Positives abgewinnen. Es wird ein Ergebnis geben, so oder so, und daran haben sich die beiden Parteien zu halten. Ich finde es gut und richtig, dass jetzt über das Heer diskutiert wird. Das Heer ist in den letzten Jahrzehnten stiefmütterlich behandelt worden, von den letzten sechs Jahren mag ich gar nicht reden. Der desolate Zustand des Heeres ist ein Ergebnis des Desinteresses und des Herabwirtschaftens in diesen sechs Jahren.

STANDARD: Sie sprechen die Amtszeit von Verteidigungsminister Norbert Darabos an?

Sorger: Ich spreche die letzten sechs Jahre an.

Androsch: Die Milizübungen hat aber der Platter eingestellt.

Sorger: Das Heer wurde in den letzten sechs Jahren wirklich herabgewirtschaftet. So kann es nicht weitergehen. Wenn sich das Berufsheer durchsetzen sollte, dann ist damit auch die Aufforderung verbunden, dass ich ein doppeltes Maß an Kosten deklariere. Alles andere wäre eine Augenauswischerei. Die Wahrheit ist, ein Berufsheer ist mit den doppelten Kosten verbunden. Ich kann ja sagen, das ist es mir auch wert, aber dann soll man dazu stehen.

Androsch: Da soll eine Katze im Sack gekauft werden, man weiß nicht einmal, ob überhaupt eine Katze im Sack ist. Wir haben ein Riesenproblem, das ist das Informationsdefizit. Bei der Komplexität der Thematik ist das in der kurzen Zeit nicht zu schaffen. In Wahrheit haben ja schon ein Berufsheer. Wir haben 24.000 Berufstätige im Heer, davon 15.000 Militärs für 11.000 Wehrdiener. Das ist ein Missverhältnis. Von den 24.000 ist mindestens ein Drittel überaltet. Die verschlingen den Großteil des Personalbudgets, das macht mehr als 60 Prozent des Gesamtbudgets aus. Da bleibt für Infrastruktur und die Waffenbeschaffung nicht genügend Geld.

STANDARD: Tun Sie sich nicht schwer in der Argumentation, wenn die SPÖ ein konkretes Konzept hat, die ÖVP aber nicht?

Sorger: Überhaupt nicht. Das Konzept, dass Darabos vorgelegt hat, ist ein Mythos, ein Wirrwarr von unterschiedlichen Vorstellungen. Da wird mit Kosten argumentiert, von denen man weiß, dass sie nicht stimmen. Wenn von einem Tag auf den anderen die Wehrpflicht entfällt, verschwindet das Rekrutierungspotenzial, das kann nicht funktionieren. Der deutsche Verteidigungsminister hat selbst gesagt, wie wahnsinnig schwierig diese Umstellung vorzunehmen ist. Die Rekrutierung ist nicht nur viel teurer, sie ist auch viel schwieriger. Das Potenzial ist nicht vorhanden. Die Deutschen hätten gar nicht umgestellt, wenn sie nicht der Nato angehören würden. Das Rekrutierungsproblem ist in ganz Europa gegeben. Das Modell, das Darabos präsentiert hat, ist nicht seriös. Derzeit ist der Katastrophenschutz gut abgedeckt, wir haben internationale Einsatzkräfte, die hoch angesehen sind, die Schwachstelle ist die Ausbildung der Rekruten. Es muss nach dem 20. Jänner, so die Wehrpflicht beibehalten wird, zu einer grundlegenden Reform der Ausbildung der Rekruten kommen. Die sechs Monate sind kurz genug, sie müssen sinnvoll gefüllt werden vom ersten bis zum letzten Tag. Das ist auch möglich. Aber es muss auch gewollt sein. Wenn man die Menschen und die Organsiation nicht will, dann wird man auch an einem Berufsheer scheitern.

Androsch: Von 2000 bis 2006, in der Schüssel-Haider-Grasser-Regierung, war sicherlich nicht Darabos Verteidigungsminister. Im damaligen Regierungsprogramm wurde das Berufsheer als Ziel festgelegt. Der Landeshauptmann von Niederösterreich hat etwa zeitgleich gesagt, am Berufsheer führt kein Weg vorbei. Jetzt haben wir zwei Salti erlebt: Einen nach vorne, einen nach hinten. Ich bekenne mich auch zu einer Meinungsänderung. Ich habe meine Befindlichkeit zurückgedrängt, die aus der zerschossenen Wohnung meiner Eltern im Gemeindebau im 34er Jahr herrührt. Ich habe eingesehen, dass das damals nicht nur das Berufsheer war, sondern genauso die Polizei. Aber da ich mich auch mit internationalen Fragen intensiv beschäftige, muss ich einsehen, was die heutigen Anforderungen sind. Das kann ich nicht dadurch lösen, dass ich die Anforderungen möglichst nieder ansetze, dann haben wir genau die Situation wie jetzt, alles zu grüßen, was sich bewegt und alles zu putzen, was sich nicht bewegt und in der Freizeit zum Wirten gehen um „Wirtschaftsförderung" zu betreiben.

Sorger: Das sind jetzt wirklich Flachheiten!

Androsch: Die SPÖ hat, sicherlich durch Häupl wahltaktisch motiviert, einen Salto nach vorne gemacht. Die ÖVP hat einen Salto nach hinten gemacht.

Sorger: Frau Rudas hat doch zugegeben, dass es ihr nicht um Sachargumente geht. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist reiner Wahlkampf. Darabos spielt mit der Sicherheit Österreichs, da geht es darum, junge Männer als Wähler zu gewinnen. Die Wahrheit ist, das ist kein ideologischer Salto gewesen, das war ein Befehlsempfang von Darabos, der Befehl wurde seitens eines Mediums und des Wiener Bürgermeisters ausgegeben. Das hat mit Ideologie oder Überzeugung gar nichts zu tun.

Androsch: Einverstanden. Aber warum hat Landeshauptmann Pröll diese Befragung gewollt? Das waren doch auch rein wahltaktische Gründe. Er wollte von seiner Misere bei den Landesfinanzen ablenken.

Sorger: Hannes, da sind wir jetzt gleich in Salzburg und beschimpfen die Frau Burgstaller.

Androsch: Aber Spindelegger wollte diese Befragung doch gar nicht, der musste das genauso auf Befehl machen.

STANDARD: Da sind also zwei Parteichefs den Vorgaben ihrer mächtigen Landeshauptleute nachgehüpft?

Androsch: Das macht die Sache nicht besser.

Sorger: Das muss ich korrigieren! Die Überlegung von Schüssel war 2000 eine ganz andere. Nato-Beitritt und Aufgabe der Neutralität. Er hat Studien anfordern lassen, die Österreicher wollten das nicht und das wäre wesentlich teurer gekommen, deswegen hat er das wieder vom Tisch gehabt. Das war die Ideologie. Es ist ja auch legitim über verschiedene Modelle nachzudenken. Wenn ich mich hinstelle und sage, ich will ein neues System, das jetzige funktioniert nicht, aber das kostet dann das Doppelte, dann ist das ein Konzept. Aber sich hinzustellen und zu behaupten, ich kann mit dem neuen Modell das gleiche machen und das neue Modell solange runterzurechnen, bis das reinpasst, das geht doch nicht. Das jetzige Budget ist doch schandbar.

STANDARD: Legt die SPÖ falsche Zahlen auf den Tisch?

Androsch: Bei beiden Systemen muss man jedenfalls diesen altersmäßigen Speckgürtel und den Wasserkopf beseitigen. Das nimmt übermäßig viel Finanzen in Anspruch. Aber man erspart sich beim Berufsheer den wirtschaftlichen Verlust des Wehrdienstes, den Einkommensverlust für den einzelnen Betroffenen, was einer Naturalsteuer gleichkommt, die Einbußen bei der Karriere, den Entgang an Arbeitskräften und so weiter. Deswegen hat ÖVP-Verteidigungsminister Platter auf Wunsch der Wirtschaft aufgehört, Milizübungen zu machen.

STANDARD: Abgesehen von der finanziellen Frage und den Konsequenzen für den Einzelnen. Was ist denn das stärkste Argument für ein Berufsheer?

Androsch: Die Professionalität, die besser Ausbildung, das Training, die Beherrschung der modernen Militärtechnologie im Dienste der sicherheitspolitischen Anforderungen von heute.

Sorger: Wir haben doch Profis im Heer.

Androsch: Zu wenige.

Sorger: Es ist doch ungeheuerlich zu behaupten, dass unsere Militärs keine Profis sind. Die sind international hoch angesehen.

Androsch: Aber das sind keine Grundwehrdiener.

Sorger: Trotz der widrigen Umstände leistet das Bundesheer Großartiges. Es hat keine Katastrophe gegeben, die nicht beherrscht wurde, kein Hochwasser, keine Lawine. Kein internationaler Einsatz, bei dem die Österreicher nicht bestqualifiziert dagestanden sind. Das sind ja Leistungen. Und das wird mit einem äußerst niedrigen Budget reflektiert. Zu sagen, ich kann das Heer nicht modernisieren und ich brauche Profis, das ist doch hanebüchen! Wenn diese Zeit beim Bundesheer sinnvoll genützt wird, wenn ich dort meine Fähigkeiten einbringen kann, wenn ich einen Lkw-Führerschein machen kann, einen Erste-Hilfe-Kurs, wenn ich als Zimmermann mich als Pionier bei einem Hochwasser einbringen kann, dann muss ich das auch gegenrechnen. Eine Verbesserung des Rekrutensystems ist notwendig, ja, aber das System an sich, dieses breit aufgestellte System mit Rekruten und Berufsheer, Miliz und Sozialdienst, das ist äußerst bewährt.

STANDARD: Ist es nicht seltsam, dass ausgerechnet die ÖVP einen Zwangsdienst verteidigt?

Sorger: Ich bin wirklich derjenige, der den Staat mit seinen Aufgaben sehr kritisch beäugt, sehr kritisch! Aber ohne Verpflichtungen funktioniert es nicht. Ich möcht auch gerne keine Steuern zahlen. Und ich möchte nicht wissen, wenn wir Schulpflicht hätten, wie viele Kinder in die Schule gehen. So ist auch die Wehrpflicht eine der Pflichten, die ein Staatsbürger zu erfüllen hat, das hat jetzt nichts mit Ideologie zu tun, das hat mit Verantwortung und Werten zu tun. Wenn ich das schon höre: Zwangsarbeit oder Fronarbeit! Oder diese unglaubliche Aussage von dem Oberösterreicher. Hannes! Wir bewegen uns da in eine Sprache hinein, die wir wirklich nicht verdient haben.

Androsch: Na lassen wird das weg, weil da dürfte der Generalsekretär der ÖVP sich überhaupt nicht mehr melden, der war gar nicht beim Heer.

Sorger: Das hat nichts mit diesem Herrn Ackerl zu tun, der da einen Nazi-Vergleich gezogen hat.

STANDARD: Können Sie dem Argument, dass alle jungen Männer, über die Frauen müsste man extra diskutieren, ihren Teil zur Allgemeinheit beitragen, die einen als Soldaten, die anderen als Zivildiener, nicht auch etwas abgewinnen?

Androsch: Dann müssten sie das zwangsweise auch für die Frauen machen, das ist die logische Konsequenz. Aber nicht einmal dann, weil das auf eine Alterskohorte beschränkt wäre. Das Modell Berufsheer und das Freiwillige Sozialjahr wäre auf beide Geschlechter und altersmäßig auf die normale aktive Erwerbszeit erweitert.

STANDARD: Sie sind überzeugt, dass man genug Soldaten und auch Leute für den Sozialdienst findet?

Androsch: Wir haben eine Berufspolizei mit 24.000 Angehörigen in Uniform und die bekommen zwei Jahre Ausbildung. Niemand sagt, dass das Rowdies oder Rambos sind, sondern die erfüllen ihren Dienst. Warum soll ich das für 15.000 Berufssoldaten nicht bekommen? Notwendig ist, dass ich den Speckgürtel altersmäßig und den Wasserkopf wegbekomme.

Sorger: Herr Androsch vergisst zu erwähnen, wie schwer es ist, die Polizei zu rekrutieren.

Androsch: Erstens muss ich das Dienstrecht ändern und Zweitens muss ich eine zweite Karriere möglich machen. Ich schließe mich der Meinung von Erwin Pröll an, am Berufsweg führt kein Weg vorbei, wie immer die Befragung ausgeht.

STANDARD: Gibt es eine Untergrenze bei der Beteiligung, ab der Sie sagen, das ist ein Misserfolg?

Sorger: Ich selbst stelle fest, dass das Interesse an der ganzen Diskussion wesentlich lebhafter geworden ist. Das ist auch gut so. Ich rechne mit einer Beteiligung von 35 bis 40 Prozent. 40 wäre sehr gut, 35 ist das, was ich mir insgesamt erwarte.

STANDARD: Glauben Sie, dass Faymann und Spindelegger am Montag danach noch eine gute Gesprächsbasis haben werden?

Sorger: Realpolitisch sind sie Profis und werden mit dem Sieg oder der Niederlage entsprechend umgehen können und müssen.

Androsch: Im politischen Geschehen muss man nicht jedes Wort auf die Waagschale legen, da gibt es auch Emotionen und die gehen einem manches Mal durch.

STANDARD: Darabos wird von der ÖVP gerade sturmreif geschossen.

Sorger: Nicht nur von der ÖVP. Ich kann Ihnen Mails zeigen von gestandenen SPÖlern...

Androsch: Es ist ein wechselweises Spiel. Ob es klug ist, das so zu machen, das darf ich allerdings bezweifeln.

Sorger: Ich habe sehr geraten, egal wie das ausgeht, wirklich zur Professionalität zu schreiten und jenen Bereich, der für Österreich auch standortpolitisch auch für die Industrie von einer ganz besonderen Bedeutung ist, nämlich Sicherheit, Abwägbarkeit, Perspektiven für die Zukunft, professionell anzugehen. Das ist für einen Investor von enormer Bedeutung. Deswegen muss das Ganze entsprechend reformiert werden. Auch wenn ich den Argumenten von Dr. Androsch durchaus einiges abgewinnen kann, bin ich bei der Summierung der gesamten Überlegung und Argumente für die Beibehaltung der Wehrpflicht.

Androsch: Es wäre mehr als angemessen gewesen, dass die Frau Innenminister eine saubere Informationsunterlage vorgelegt hätte. Das wollte man nicht. Ohne entsprechende Information kann man emotional-demagogisch leichter im Trüben fischen. Der Informationsstand ist ungenügend, das ist das Unbefriedigende an der Entscheidung. Aber so eine Nebelgranatenbefragung ist eigentlich eine Zumutung.

Sorger: Ich hätte mir gewünscht, dass es politisch gelöst wird, dann hätten wir uns das alles erspart. (Michael Völker, DER STANDARD, 12./13.1.2013)