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Ihr Puppen-Double im Wiener Akademietheater: Elfriede Jelinek mit Nikolaus Habjan.

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Jelinek-Novize: Matthias Hartmann.

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Wien - In Schatten (Eurydike sagt) begehrt eine tote Nymphe gegen ihr Dasein als Sehnsuchtsobjekt auf. Ein rasender Theatermonolog aus der Feder Elfriede Jelineks, im Wiener Akademietheater verteilt auf die Schultern von sieben Schauspielerinnen. Regisseur Matthias Hartmann erklärt im Wordrap sein Konzept für die Uraufführung (Donnerstag, 19.30 Uhr).

Wer spricht? "Aus der Geschichte von Elfriede Jelineks Schreiben geht klar hervor: In einem Text wie Schatten (Eurydike sagt) sprechen Frauen, die Gehör suchen. Verstorbene Frauen, die nach ihrem Tod zu einem Mythos wurden, suchen Gehör und erzählen ihre Geschichte aus ihrer Perspektive radikal anders. Es meldet sich aber auch Jelinek selbst zu Wort: Sie spricht von sich, von ihrem Schreiben. Durch die Art und Weise, in der sie sich auch selbst befragt, sich kritisiert und lobt und über sich selbst verwundert, war es für mich naheliegend, aus dem Stoff etwas Dramatisches zu konstruieren."

Ohnmacht und Täterschaft: "Eurydike wird zur Täterin auch durch ihre Verweigerung, ihr Schattendasein aufzugeben und Orpheus ins Leben zurück zu folgen. Er kann einem beinahe schon leidtun. Sie denkt ja mit behutsamer Fürsorge über 'ihn' nach. Er ist nicht nur ein Arschloch. Sie führt, wie es ja in den Texten aller großer Dichter passiert, eine Situation herbei, in der die Liebe nicht möglich ist. Orpheus und Eurydike haben keinen gemeinsamen Weg, außer sie gebrauchen den Freud' schen Vorschlaghammer. Der kommt bei uns auf der Bühne übrigens vor."

Kalauer: "Ich wusste gar nicht, wie sehr mir der Ambivalenzgrad zwischen Kalauer und Doppelbödigkeit zupasskommt. Die Bewegung zwischen Oberfläche und Bedeutungstiefe, in einer Amplitude, der man erst einmal hinterherkommen muss. Dieses ständige Kreisen um Worte, dieses Gedankenkarussell, das ein richtiger Wortzirkus ist. Jelinek dreht sich und bohrt sich mit ihrer Sprache in einen Sachverhalt hinein. Das ist bei Theaterproben so ähnlich. Insofern gleicht Schatten einer niedergeschriebenen Theaterprobe, der Art, wie wir versuchen, in Schichten der Wahrheit näherzukommen."

Textfläche: "Ich habe so etwas noch nie gemacht, für mich ist das eine neue Erfahrung. Dieses Stück möchte alles andere sein als ein Theaterstück. Der Text verweigert sich Bildern, Situationen und Figuren, auf die wir jedoch angewiesen sind auf der Bühne. Das ist ein Widerspruch, der mich als Regisseur reizt."

Mode-Spleen: "Man kommt nicht darum herum, über Jelinek nachzudenken, wenn man mit ihren Texten zu tun hat. Sie gibt auf eine erstaunlich spröde Art eine Menge über sich preis. Sie ist sich selbst gegenüber skeptisch, und sie befragt sich. Sie ist dabei so intelligent, dass sie die Welt zynisch kritisiert, selbst aber ein sinnlicher Mensch ist und bleibt. Diese Divergenz, die sich an ihrem Hang zur Mode ablesen lässt, verstehe ich. Das Zitat im Stück dazu lautet: 'Meine Kleider verbergen mich und zeigen mich.'"

Weiblicher Selbsthass: "Ich schimpfe manchmal sehr viel über Frauen auf der Probe, das hat dieser Text in mir ausgelöst. Das gipfelt in der Pointe: 'Es gibt nichts Schlimmeres als Frauen, außer Männer.' Womit ich die schreckensstarren Augen der Schauspielerinnen wieder löse und Anlass zu Gelächter gebe. Orpheus ist mit seiner 'Softeisballade', mit der er 'durch seinen eigenen Soundtrack eilt', unterwegs in einer wahnsinnigen Selbstgewissheit, gleichzeitig ist er depressiv und unerlöst. Jemand, der null Chance hat, anders zu sein, als er ist: ein Opfer seiner selbst. Ein Mann eben! Zudem ist mir gerade aufgefallen: Alle großen Songwriter, von Bob Dylan aufwärts, besitzen etwas ungeheuer Possessives. Sie artikulieren sich fast immer im Ton des Besitznehmens: 'I want you.' Es ist wahnsinnig reizvoll, Jelineks Perspektive eine Zeitlang einzunehmen. Das bekommt in den Endproben etwas Apodiktisches: Ich glaube der Jelinek im Moment total. Muss mich aber auch gegen sie auflehnen, sonst kann kein Abend entstehen.

Verständnisfragen: "Am Anfang haben wir versucht, im Team ein Verständnis für den Text zu gewinnen. Im Spiel hat sich herausgestellt, dass man nicht zu didaktisch sein darf. Man darf nicht zu viele Verständnisbrücken bauen. Der Art, wie sie den Text in immer neuen Anläufen mit dem Vorschlaghammer in einen hineinprügelt, muss man Raum geben. Ich habe viele Sachen eliminiert, mit denen ich versucht hatte, Menschen das Stück nahezubringen. Die Leute müssen das nicht gleich auf der ersten Verstandesebene ,verstehen'. Manchmal ist es frappierend - und es bleibt so ironisch, wie es gemeint ist."

Jelinek-Erfahrungen: "Als ich bei Frank Baumbauer am Hamburger Schauspielhaus gearbeitet habe, sollte ich damals die Erstaufführung von Raststätte machen und die Uraufführung von Stecken, Stab & Stangl. Ich war damals noch auf einem anderen Trip. Ich war so eine Art Schüler der Deutschen Klassik. Ich wollte das Theater 'herauskriegen', und Jelinek blieb für mich damals ein fremdes Land. Ich bin ja auch ein Spätentwickler und nehme das ein Leben lang für mich in Anspruch. Ich werde das noch als 80-Jähriger sagen. In Österreich kommt man an Elfriede Jelinek nicht vorbei. Und ich kann das nicht übers Lesen, ich muss mit diesen Texten arbeiten. Jelinek ist hart - man geht mit einem solchen Text in den Boxring, und er lacht einen zwischendurch immer mal wieder aus." (Ronald Pohl, DER STANDARD, 17.1.2013)