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"Im Ausland ist vielen nicht bewusst, dass die tschechischen Banken zu Nettokreditgebern geworden sind", sagt Tschechiens oberster Notenbanker Miroslav Singer.

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STANDARD: Wie glücklich sind Sie darüber, dass Tschechien dem Euro nicht beigetreten ist?

Singer: Wir verbringen definitiv weniger Zeit damit, uns Gedanken über Länder zu machen, die der Eurozone nie hätten beitreten sollen, und wir nutzen die Flexibilität unserer eigenen Währung aus, um der Exportwirtschaft zu helfen. Die tschechische Wirtschaft ist stabil, uns geht die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht ab. Das ist die positive Seite der Medaille. Andererseits geht ein großer Teil unseres Handels in die Eurozone, die Eigenständigkeit hat also auch ihre Kosten.

STANDARD: Die Regierung und die Notenbank in Prag lehnen es derzeit sogar ab, ein Datum für die Einführung zu nennen. Hat der Euro so stark an Attraktivität verloren?

Singer: Ohne ein ernstzunehmendes Bekenntnis ist es unnütz, ein Datum zu nennen. Derzeit gibt es in Tschechien aber keine ernstzunehmende politische Strömung, die erwägen würde, den Euro in naher Zukunft einzuführen. Erst wenn die Eurozone ihre Probleme gelöst hat, rechne ich überhaupt mit einer Diskussion. Bereits vor der Krise zeigten Meinungsumfragen, dass die Bevölkerung über einen Beitritt im Verhältnis von 50:50 gespalten war. Die Meinungslage hat sich dramatisch verschlechtert.

STANDARD: Sehen Sie keine Vorteile in der Gemeinschaftswährung?

Singer: Ich sage nicht, dass es keine Staaten gibt, die vom Euro nicht profitierten haben so wie etwa Österreich. Aber die Erfahrung in Südeuropa hat uns gelehrt, dass Länder, die ihre Währung aufgeben und nicht über ausreichend flexible Arbeitsmärkte verfügen, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen, sehr rasch schwerwiegende Probleme bekommen. Der tschechische Arbeitsmarkt ist nicht besonders flexibel, die Langzeitarbeitslosigkeit ist hoch, die Menschen sind nicht sehr mobil. Zudem sind die Kosten für einen Eurobeitritt gestiegen: Wer jetzt einsteigt, muss sein Geld in den Rettungsschirm und diverse andere Sicherungssysteme stecken.

STANDARD: Tschechien sagt Nein zum Euro, Nein zur Bankenunion, Nein zum Fiskalpakt: Warum isoliert sich das Land? Ist der Europa-Skeptizismus so gestiegen?

Singer: Der Skeptizismus ist überall gestiegen. Die Menschen sehen, dass Dinge nicht so laufen, wie sie laufen sollten. Tschechien ist groß genug, zwar nicht um selbstständig agieren zu können - wir sind Teil der EU - aber doch, um eigenständiger überleben zu können. Die Angst vor einem eigenen Weg ist nicht so ausgeprägt, wie in kleineren Staaten. Plus: Wir sind ein Industrie- und kein Agrarland wie Polen. Wir bekommen also nicht so üppige Förderungen aus Brüssel. Aber isoliert sind wir nicht: An der Bankenunion nehmen auch Briten und Schweden nicht teil.

STANDARD: Warum lehnen Sie die Bankenunion ab?

Singer: Machen wir mit, verlieren wir unsere eigene Macht als Aufseher zugunsten der Euro-Zentralbank. Tschechien ist eines der ausgewählten Länder in Europa, in dem die Banken nach wie vor sehr profitabel operieren ...

STANDARD: ... der Bankensektor ist eine wahre Cashcow: Die Eigenkapitalrentabilität der österreichischen Institute ist zum Beispiel nirgends so hoch wie in Tschechien.

Singer: Eine Cashcow, so ist es. Die wichtigen tschechischen Banken sind gut kapitalisiert und stehen allesamt im Eigentum von Instituten aus der Eurozone. In Krisensituationen gibt es also etwas, das man ihnen wegnehmen kann. Darüber möchten wir selbst wachen. Im Ausland ist vielen nicht bewusst, dass die tschechischen Banken, einschließlich der österreichischen Tochtergesellschaften, heute mehrheitlich Nettokreditgeber für ihre Muttergesellschaften in der Eurozone sind. Die Netto-Auslandsguthaben des Bankensektor beläuft sich auf 9,8 Milliarden Euro. Damit habe ich im Moment kein Problem, aber wir wollen nicht unsere Aufsichtsfunktion über diese Entwicklung verlieren.

STANDARD: Weil dieses Geld aus dem tschechischen Finanzsektor abfließt und der Wirtschaft nicht zur Verfügung steht?

Singer: Nicht nur deshalb. Kreditgeschäfte sind immer mit einem Risiko verbunden. Die Nationalbank kann das kontrollieren, aber dafür müssen wir die entsprechenden Instrumente in der Hand halten. Die EZB hat wenig Erfahrung mit solchen Situationen, während wir seit 20 Jahren damit beschäftigt sind. Außerdem stelle ich mir ein paar grundsätzliche Fragen zur Bankenunion.

STANDARD: Welche?

Singer: Damit die Eurozone überleben kann, würde sie ein föderales Budget wie die USA brauchen. Das ist derzeit nicht machbar. Die Bankenunion ist der Versuch, den Erhalt der Eurozone trotzdem zu sichern, indem der Teufelskreis zwischen Staats- und Bankenschulden gebrochen wird. Um das zu erreichen, wollen sich die Euroländer verpflichten, gegenseitig ihre Kosten bei der Rettung und Abwicklung maroder Institute abzunehmen. Das ist eine Quasitransferunion. Wenn die ersten größeren grenzüberschreitenden Zahlungen einsetzen, werden die Steuerzahler aber aufwachen und sagen: "Hey, das haben wir nicht gewollt!" Die zentrale EZB-Aufsicht müsste also so stark werden, dass Bankenrettungen so gut wie gar nicht mehr nötig werden. Ich weiß nicht, ob das möglich ist. Das zweite Problem ist, dass so ein System von Anfang an gut kapitalisierte Banken braucht. Das hat die Eurozone derzeit nicht: Viele Zombiebanken leben weiter. (András Szigetvari, DER STANDARD, 17.1.2013)