Schenk gibt sich Armstrongs Beichte ohne Taschentuch.

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Wien - "Wenn es so kommt, stehen wir mit bis zu den Knien heruntergelassenen Hosen da." Plastisch beschreibt Rudolf Massak, der Generalsekretär des österreichischen Verbandes (ÖRV), mögliche Folgen der Causa Armstrong für den Radsport. Sollte nämlich Lance Armstrong in seinem am Montag aufgezeichneten Interview mit Oprah Winfrey nicht nur jahrelanges Doping zugegeben, sondern auch die Führungsspitze der Weltverbandes (UCI) der Korruption geziehen haben und dafür Beweise vorlegen können, ist selbst der Ausschluss des Radsports aus der olympischen Bewegung nicht auszuschließen. Richard Pound, Ex-Präsident der Welt Anti Doping Agentur (Wada) und einflussreiches Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sieht im Fall des Falles in dieser Maßnahme den "einzigen Weg, um aufzuräumen".

"Für die Radprofis wäre ein Olympia-Ausschluss nur ein geringes Problem" , sagt Massak, "für die sind die Spiele oft sogar störend." Ganz anders verhielte es sich mit den anderen, ebenfalls der UCI unterstehenden Sparten wie Bahnradsport oder Mountainbike. "Alle nationalen Förderprogramme sind auf olympische Disziplinen ausgerichtet. Wenn die vier Jahre oder gar länger wegfallen, wäre das fatal."

Zahlungen an die UCI

Seit Jahren wird vermutet, dass der Weltverband unter Präsident Hein Verbruggen, der von 1991 bis 2005 amtierte, Armstrong gegen Bezahlung gedeckt hat. Nahrung für diese Vermutungen lieferte der Texaner selbst schon im März 2004, als er in einem Interview mit der Website Cycling News regelmäßige Zahlungen an die UCI, angeblich zum Zwecke der Dopingbekämpfung, zugab. Erst ein Jahr später und unter Druck der Öffentlichkeit gab Verbruggens Protege und Nachfolger Pat McQuaid zu, dass die UCI Geld von Armstrong erhalten habe. Kritik an den Beziehungen zwischen Armstrong und der UCI wurde mit Repression beantwortet.

Davon weiß Sylvia Schenk ein Lied zu singen. Die 59-jährige Juristin, eine ehemalige Läuferin, amtierte von 2001 bis 2004 als Präsidentin des Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Ihr Bemühen um Transparenz innerhalb des BDR und der UCI fand wenig Anklang, vom Niederländer Verbruggen wurde ihr beschieden, dass sie sich als Frau in einer Welt der Männer anzupassen habe. Schenk hatte auch kritisiert, dass der Ire McQuaid schon vor seiner Wahl zum Präsidenten Geld von der UCI erhalten hatte. " Sie war für die Herren im UCI immer ein rotes Tuch, weil sie Dinge klar ausspricht", sagt ÖRV-General Massak. 2006, bei der Rad-WM in Salzburg, drohten die UCI-Spitzen mit Abreise, sollte Schenk als Gast auftauchen.

Zu beweisloser Verurteilung von Verbruggen (71) und McQuaid (63) lässt sich die Ex-Präsidentin von Transparency International Deutschland, die noch dem Vorstand dieser NGO angehört, aber nicht hinreißen. "Man kann die Spitzen der UCI nicht pauschal der Korruption anklagen, aber dass da vieles nicht transparent abläuft, steht außer Frage." Schenk verweist darauf, "dass in all den Jahren nie klargelegt wurde, wieviel und an wen Armstrong Zahlungen geleistet hat". Dass Armstrong im Interview mit Oprah Winfrey sich auch zur Rolle der UCI äußert, hätte Schenk "vorher nicht gedacht. Aber jetzt gibt es Andeutungen, dass es so ist. Und das kann nicht nur ein Werbegag sein, damit mehr Leute zusehen."

Das Tamtam um Armstrongs Geständnis findet Schenk "eigentlich nur ekelhaft. Da geht es gewiss auch um viel Geld. Und Armstrong ist ja nicht nur irgendein Radfahrer, der gedopt hat, das lange geleugnet hat, jetzt ein paar Tränen zerdrückt und gesteht. Er hat ja zusätzlich über Jahre ganz vielen Leuten, die ihn hinterfragt haben, etwas angetan - mit Drohungen, mit Klagen."

Gleichwohl wird sich Sylvia Schenk zumindest den ersten Teil des in zwei Teilen (Freitag und Samstag, je 3 Uhr auf Discovery Channel oder www. oprah.com) zur Ausstrahlung kommenden Interviews des einstigen Tour-de-France-Herrschers ansehen, "um mir wirklich ein Urteil bilden zu können. Ich werde aber kein Taschentuch dabei haben." (Sigi Lützow, DER STANDARD, 17.1.2012)