Vor zwei Jahren stand das alte Amtshaus der Marktgemeinde Ottensheim im oberen Mühlviertel leer. Das pittoreske, rostbraune Gebäude im Ortskern drohte langsam zu verfallen. Dann aber wurden die Räume dem Verein Otelo (Offenes Technologielabor) übergeben. Nun füllen einige der 4.500 Einwohner die leeren Räumen mit neuen Ideen. Damit soll die Abwanderung schlauer Köpfe aus dem Vorort von Linz in die Großstädte verhindert und die Gemeinschaft belebt werden. Das Konzept geht auf: Die Technologien, die in der Elektronikwerkstätte gemeinsam weiterentwickelt wurden, werfen erste Gewinne ab.
Aber nicht nur eine wirtschaftliche Grundlage ist wichtig, damit die Bewohner nicht in größere Städte oder in das Ausland abwandern. Zum Wohlfühlen gehören Gemeinschaft, kulturelle Angebote und eine intakte Umwelt. Otelo wurde vor zwei Jahren von Martin Hollinetz gegründet und hat bereits fünf Standorte in Österreich. Das Prinzip ist schnell erklärt: Zumindest fünf Menschen im Ort müssen sich bereit erklären, den Standort zu managen. Damit Otelo leistbar wird, darf die Gemeinde nur eine symbolische Miete verlangen.
Käfer und Maden als Delikatesse
Die Ideen für die Nutzung der Räume kommen ausschließlich von den Mitgliedern, oft steht der Umweltschutz oder der sparsame Umgang mit Ressourcen im Vordergrund: Im oberösterreichischen Vorchdorf etwa wird regelmäßig das "Repair-Café" organisiert. Dabei treffen sich Menschen zum Tratschen und Kaffeetrinken und reparieren nebenbei den ganzen Nachmittag Geräte, anstatt sie wegzuwerfen.
In Ottensheim wiederum gibt es zusätzlich einen Kost-Nix-Laden, wo Bewohner Gewand, Sportgeräte oder Spielzeug hintragen. Wie auch immer die Otelo-Projekte geartet sind, der zentrale Treffpunkt ist stets die Küche. Dort finden dann mitunter recht schräge Abende statt, wie etwa das Zubereiten und Essen von Käfern und Maden.
Experimentierfreude bis ins Innere
In Ottensheim können die Mitglieder ihren Aktivitäten vorerst drei Jahre mietfrei nachgehen. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein physischer Raum wichtig ist, wo wir unsere Ideen bündeln können", erklärt die Ottensheimer Bürgermeisterin Ulrike Böker.
Viele Jugendliche aus dem Ort etwa würden zum Studieren nach Linz pendeln oder gleich nach Wien ziehen, berichtet die Bürgermeisterin. Wie die Erfahrung zeige, kehre aber die Hälfte nicht mehr nach Ottensheim zurück. Genau deshalb unterstütze sie Otelo. Denn der veränderte Lebensraum sei nicht nur für die Jungen wichtig, sondern nutze allen, so Böker.
High-Tech aus dem Dorf
Neben Umwelt, Kunst und Kultur sollen die Menschen am Land vor allem für Technik interessiert und noch besser vernetzt werden. Leute mit spezifischen Interessen wandern oft ab, da sie in ihrem Heimatort keine Möglichkeit haben, ihre Ideen umzusetzen. Davon kann auch Benjamin Krux erzählen: "Ich hab mich schon immer für 3D-Drucker interessiert. Aber wenn es Otelo nicht gegeben hätte, würde ich wahrscheinlich noch immer allein in meinem Wohnzimmer darüber nachdenken."
Mit einer Investition von 400 Euro in einen 3D-Drucker-Bausatz fing es an. In "9 to 5-worknights", die immer wieder veranstaltet werden, wurde dann intensiv am Drucker gebastelt. Gefrühstückt wird am Abend, das Mittagessen gibt es um Mitternacht und das Abendessen im Morgengrauen. "Da läutet kein Handy und niemand braucht etwas", erklärt Otelo-Gründer Martin Hollinetz das manisch anmutende Konzept
Lebensunterhalt mit billigem 3D-Drucker
Der ungewöhnliche zeitliche Freiraum jedenfalls spornt die Technikinteressierten an und so wurde der 3D-Drucker in nächtlichen Sitzungen optimiert. Die Grundidee dazu stammt übrigens von einem Professor aus Großbritannien, doch die Technik wird im Moment auf der ganzen Welt eifrig weiterentwickelt.
Benjamin Krux kann damit mittlerweile seinen Lebensunterhalt bestreiten. Über seine Firma RepRap Austria verkaufte er seine 3D-Drucker bereits in 50 Ländern. "Unser 700-Euro-Drucker funktioniert schon fast so gut wie das 20.000 Euro teure Modell", sagt Krux stolz.
Ein Drucker für jedes Wohnzimmer
Das Ziel von Krux: Das Produkt soll bald noch einfacher herzustellen sein und daher noch weniger kosten. Das sei wie mit den Computern in den 1970er-Jahren: Das Potential sei vorhanden und in einigen Jahren würden auch die 3D-Drucker wie selbstverständlich zum Alltag der Menschen dazugehören.
In der Otelo-Werkstadt werden etwa Ersatzgriffe für Kühlschränke, Knöpfe für Stereoanlagen, Trillerpfeifen, Spielzeug oder Kunstobjekte angefertigt. Gedruckt wird mit Maisstärke, Nylon und dem Kunststoff Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat, aus dem Lego besteht.
"Print your own Lampenschirm"
Doch es gibt auch Kritiker der 3D-Technik, da bereits Anleitungen zum Drucken von Waffen im Internet gelandet sind. Eine andere Problematik ist das Urheberrecht. Es heißt, dass in großen Möbelhäusern bereits Heerscharen von Rechtsexperten über dieses Problem nachdenken. Internet-Anleitungen wie "Print your own Lampenschirm" stoßen dort erwartungsgemäß auf wenig Begeisterung. "Auch diese Thematik diskutieren wir kritisch untereinander", räumt Hollinetz ein.
Unabhängig und kooperativ
"Wir gehören niemandem und sind deshalb kooperationsfähig", erklärt Georg Ottinger am Otelo-Standort Vöcklabruck. Er entwickelte den sogenannten OggStreamer. Dabei handelt es sich um ein Open Hardware-Projekt, mit dem er den zweiten Platz bei einem Elektronik-Design-Wettbewerb im Silicon Valley und die aktuelle Netidee gewann.
An dem Projekt tüfftelte er in einem improvisierten Eletroniklabor in der ehemaligen Musikschule gegenüber des Bahnhofs. Die Grundausstattung für die elektronische Werkstatt kam von Spenden oder aus privaten Haushalten. Das schönbrunngelbe Gebäude, in dem sich das Labor befindet, hat schon bessere Zeiten gesehen - die baufälligen Mauern wurden von einem Statiker mit Holzstangen abgesichert.
Doch in den Räumen wurlt es vor Ideen und Tatendrang: Im Erdgeschoß proben Break Dancer, im ersten Stock lernen Kinder spielerisch die Grundlagen der Chemie, zudem hat ein Freies Radio dort seinen Sitz.
Niederschwelliger Zugang nutzt Freien Radios
Ottingers Idee ist simpel, aber vor allem für Freie Radios sehr nützlich. Sein Gerät komprimiert analoge Audiosignale in das sogenannte Ogg-Format. Dieses wird direkt als Audiostream über das Internet übertragen. Ottinger verfolgt mit seiner Erfindung den "pay-as-you-wish"-Gedanken - also zahlen, so viel man will.
Seiner Meinung nach hat die kleine metallene Kiste gegenüber dem Computer folgende Vorteile: Sie ist einfach zu bedienen, weil man praktisch nur einen Knopf drücken muss. Und sie braucht weniger Strom - rund ein Zehntel weniger - als ein Laptop. Der niederschwellige Zugang hat zur Folge, dass viele Freie Radios die Technik nutzen. So ist in Vöcklabruck ein OggStreamer im "Radionest", dem Außenstudio des Freien Radio Salzkammerguts, im Einsatz.
Am Fahrrad strampeln für die Band
Eine andere kuriose Idee, die aus Otelo hervorging, ist das Fitnesscenter der Zukunft. Räder werden dermaßen umgebaut, dass sie Strom liefern. Dadurch wird zum Beispiel eine Band auf der Bühne oder ein Filmprojektor vom strampelnden Publikum versorgt. Die "Mobile Human Powerstation", kurz Mohups, ist bereits in ganz Österreich unterwegs. Unter anderem werden sie von Betriebe für Team-Building-Seminare genutzt.
Erster Standort im Ausland
Neue Standorte von Otelo entstehen gerade in Ossiach, in Krems, Waidhofen an der Ybbs und Neunkirchen. Eine halbe Stunde von Berlin entfernt gibt es außerdem den ersten Standort im Ausland. Die Ausgangssituation sei dort noch einmal eine andere, sagt Gründer Martin Hollinetz: "In der ehemaligen DDR herrscht teilweise ein noch extremerer Brain Drain als bei uns am Land." Für Hollinetz ist das eine besondere Herausforderung, denn er sieht sich mit seinem Verein auch als Baustein im Prozess einer Stadtentwicklung. (Julia Schilly, derStandard.at, 22.1.2013)