Neulich, auf Brautwerbung bei den Türken in Wien: Cahit (Harald Windisch 3. v. li.) zählt auf Unterstützung seines "Onkels" Seref (re. neben ihm: Dennis Cubic).

Foto: Garage X

Wien - "Ich will leben, ich will tanzen, ich will ficken": Aus dem Mund einer Deutsch-Türkin der dritten Generation nimmt sich eine solche Behauptung nach wie vor wie eine Kriegserklärung aus. Das famose Theater-Remake von Fatih Akins Spielfilmerfolg Gegen die Wand (2004) in der Wiener Garage X profitiert von einer nachträglichen Schärfung des Bewusstseins: Auch in Österreich hat man beschlossen, das Thema der Interkulturalität verstärkt auf die Agenda zu setzen. Alexander Simons Inszenierung überträgt den Balladenplot der beiden Suizid-Liebenden Sibel (Zeynep Buyrac) und Cahit (Harald Windisch) in wenigen Worten nach Wien.

Tatsächlich plagt man sich hierorts noch immer mit der Begrifflichkeit herum. Man gibt sich zähneknirschend tolerant. Man reicht das Prädikat "postmigrantisch" weiter, als wolle man den in Österreich seit langem Angekommenen ein nettes Führungszeugnis ausstellen.

Dabei sind die Einwanderer der zweiten, dritten Generation die wahren Integrationsleistungsträger. Ihre Lebenswelt besteht aus Sinnangeboten der einen wie der anderen Sphäre - nicht immer zu ihrem Besten. Gegen die Wand, das Stück, handelt vom Körper der Migrantin, des Migranten. Auf ihn wird von allen Seiten Druck ausgeübt, weshalb man am Petersplatz ein besonders sinnfälliges Terrain gewählt hat (Ausstattung: Monika Nguyen): eine Landschaft aus lauter gelben Schaumstoffmatratzen, eine verdreckter und zerschrammter als die andere.

Sibel und Cahit sind gescheiterte Selbstmörder. Sie gehen zum Schein eine Ehe ein, um der türkischen Familientradition Genüge zu tun - und ihr zugleich eine lange Nase zu drehen.

Das kann nicht gutgehen. Aus der Josefsehe entwickelt sich eine Leidenschaft mit ungesunden Zügen. Das sechsköpfige Ensemble spielt sich kolossal frei. Widersprüchliche Begierden werden in Tanzschritte übersetzt, Stereotype in Choreografien. Der fantastische Dennis Cubic gibt als Freund Seref den aufsässigen Duckmäuser - ein Leporello seines passiven Don Juan, Cahit. Ein vitales Eigenerzeugnis der Garage X, wo Absicht und Ästhetik immer besser ineinandergreifen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 18.1.2013)