Wer bei Regen, Sturm und hohem Wellengang auf einem 50 Meter langen Segelschiff auf dem Beagle-Kanal in Richtung Cape Horn und Antarktis fährt, denkt zwangsläufig an Charles Darwin.
Nicht nur weil der Kanal "Beagle" heißt und an das Schiff erinnert, mit dem Darwin 1834 hier auf seiner Forschungsreise vorbeikam. Und auch nicht nur deshalb, weil neben uns die Darwin Cordillera liegt und das Ende der Anden markiert. Und erst recht nicht wegen der Darwin-Diskussion, ob Gott die Welt im Detail so geschaffen hat, wie sie heute ist, oder ob Naturgesetze dafür sorgen, dass unsere gegenwärtige Welt mit allen positiven und negativen Begleitumständen so entstanden ist, wie wir sie kennen.
Nein, hier zwischen Patagonien und Antarktis, zwischen Bergketten und Gletschern, zwischen eisigem Sturm und überhohen Wellen, fallen einem die Worte "Planbarkeit" und "Machbarkeit" ein: Was ist hier machbar? Was ist planbar? Und: Wo glauben wir fälschlicherweise an Planbarkeit und Machbarkeit?
In unserer Arbeitswelt unterstellen wir Planbarkeit und Machbarkeit: Unternehmen werden organisiert, Abläufe optimiert, Mitarbeiter entwickelt, Budgets aufgestellt und Produktionsprozesse verschlankt.
Unternehmen werden wie Legofiguren auseinandergebaut und wieder zusammengesteckt - alles in der Hoffnung, dass sich damit etwas zum Besseren wendet. Auch Politiker lassen - wie man an der Diskussion um die Staatsfinanzen Griechenlands sieht - im Umfeld der Alternativlosigkeit keinen Zweifel an Planbarkeit und Machbarkeit.
Wie man es auch dreht und wendet: Die Illusion von Planbarkeit und Machbarkeit ist in unserer Welt ständiger Begleiter. In der Natur und der Denkwelt von Charles Darwin lernt man aber, dass nichts alternativlos, vor allem aber kaum etwas plan- und machbar ist. Vielmehr bestehen Reiz und Fortschritt darin, Variation und Vielfalt bewusst zuzulassen. Genauso wie es Charles Darwin auf den Galapagosinseln erleben konnte.
Hier liegt auch genau die Herausforderung für die zukünftige Arbeitswelt: im spielerischen Zulassen von Vielfalt, wobei "Vielfalt" nicht auf Diversität im Sinne eines geregelten Minderheitenschutzes zu reduzieren ist. Es geht um eine Abkehr von den permanenten Benchmarks.
Warum denken alle immer nur an die gleichen scheinrational-kostenminimalen Prozessmodelle? Warum gibt es immer " Vorgaben"? Und vor allem: Warum lässt man Unternehmen und Abteilungen nicht einfach einmal arbeiten, statt sie permanent umzubauen, nur um angeblich optimalen Strukturen zu folgen? Warum ist "Angleichen" etwas Gutes, wenn man nicht einmal weiß, ob das anvisierte Angleichungsziel langfristig überlebensfähig ist?
Lernen von Charles Darwin bedeutet nicht nur, über das Überleben derjenigen zu diskutieren, die am besten mit ihrer Umwelt zurechtkommen. Es bedeutet, Kreativität, Veränderung sowie Vielfalt zuzulassen und einfach einmal locker zu akzeptieren, wo und wie sie entstehen. Und es bedeutet aufzuhören, permanent kreationistisch alles planen und anderen vorschreiben zu wollen. Das macht dann sicher auch mehr Spaß an der Arbeit - wie für Charles Darwin auf der Beagle. (Christian Scholz, , ManagementStandard, 19./20.1.2013)