STANDARD-Schwerpunktausgabe
Direkte Demokratie

User "eitzenbe" wollte wissen: "Was sind Chancen, Risiken und Probleme der Europäischen Bürgerinitiative?"

Foto:

Sie studierte in Linz, hatte einen Freund in München und reiste nach Brüssel, um sich über die EU zu informieren. "Ihren Namen weiß ich leider nicht mehr", sagt Paul Rübig: "Ich würde sie aber gerne wiedersehen." Diese junge Frau habe bei der Begrenzung der Tarife beim EU-weiten Mobiltelefonieren Geschichte geschrieben.

Rübig ist seit 1995 Europaabgeordneter der ÖVP, hat viel Erfahrung, wie in der Union Gesetze gemacht werden, die in 27 Ländern wirken; und wie die Zivilgesellschaft bei der Gestaltung Einfluss nehmen kann. Das mit dem EU-Vertrag von Lissabon 2009 geschaffene Instrument eines "EU-Bürgerbegehrens" spielte bisher keine Rolle - eine Million Unterschriften in sieben Ländern müssen gesammelt werden, um ein Anliegen voranzutreiben, was noch niemand schaffte.

Der erste Antrag auf ein Begehren "Meine Stimme gegen Atomkraft" wurde von der EU-Kommission aus formalen Gründen zurückgewiesen. Die erste reale Initiative "Fraternité 2020", die Studierendenaustausch pushen will, sammelt seit Mai 2012 Stimmen.

Initialzündung aus Linz

14 Begehren insgesamt laufen, von "Tempo 30 in Städten" bis zu einem, das die Aussetzung des Klimapakets verlangt. Im November 2013 wird erstmals abgerechnet, die Kommission entscheidet, zu was sie eine Gesetzesinitiative einleitet. Einflussnahme läuft daher bisher "klassisch" über Interessensvertretungen und Lobbyisten - von der Industrie bis zu Greenpeace. Nicht selten sind es aber einfache Bürger, die Europas Gesetze prägen. Wie die junge Frau aus Linz. Sie lieferte die Initialzündung dafür, dass die Kommission mit dem EU-Parlament 2007 das Abzocken der Telekomfirmen beim Geschäft mit Mobiltelefonkunden aufräumen konnte. Die Verordnung dazu läuft nach zwei Novellen heute unter dem Kurztitel "Roaming 3".

Sie regelt die Limits der Minutentarife für grenzüberschreitende Telefonate, aktiv oder passiv (wenn jemand im Ausland angerufen wird), bei SMS und Datentransfer. "Eine Minute Brüssel-München kostete etwa 3, 20 Euro", denkt Rübig an 2001 zurück. Enorm, wenn man bedenkt, dass heute in der gesamten Union maximal 34,8 Cent für Aktivgespräche verlangt werden darf, passiv gar nur 9,6 Cent. Hält sich ein Betreiber nicht daran, riskiert er seine Lizenz. Aber wie kam es dazu? Die Linzer Studentin hatte vor knapp zehn Jahren in Brüssel einen Vortrag des für Industriepolitik und Unternehmen zuständigen Abgeordneten gehört. Am Abend telefonierte sie mit ihrem Freund in München. Zwei Stunden lang. Wieder zu Hause gab es Krach mit der Mutter, das Telefonat kostete " einige hundert Euro".

Die Frau schrieb Rübig daraufhin eine E-Mail. Was er zu den Segnungen des Binnenmarktes gesagt habe, sei ja schön und gut, aber falsch, empörte sie sich, das sauteure Telefonat der Beweis. Im Inland hätte es acht Euro gekostet.

Ein Essen mit Viviane Reding

Glücklicher Zufall. Rübig ging mit der damals für Telekom zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding essen. Die kannte er gut, denn sie war früher als luxemburgische EU-Abgeordnete mit Buchstaben "r" im EU-Parlament lange neben ihm gesessen.

Der Rest ist schnell erzählt. Rübig: "Ich zeigte ihr das. Sie fand das unglaublich." Reding (heute Justizkommissarin) erkannte das Potenzial. Die Dienste der Kommissarin erarbeiteten einen Gesetzesvorschlag. Nur sieben Monate später wurde die Verordnung beschlossen. Die Telekom-Lobby war empört, kämpfte gegen diese "linke" Preisregelung, klagte beim EU-Gerichtshof, weil "Netze" angeblich unter nationale Kompetenzen fiele, nicht der EU - und verlor. Die Höchstrichter befanden, dies sei ein Binnenmarktfall.

Bürgeranfragen und -beschwerden solcher Art an den zuständigen Petitionsausschuss des EU-Parlaments gibt es viele, bestätigt die Grüne Eva Lichtenberger: "Die EU ist für Bürgeranliegen manchmal offener als die regionale oder nationale Ebene." Sie hat beim Projekt der Skischaukel Mellau-Damühls erlebt, wie durch eine Beschwerde Standards für die verpflichtende Durchführung von Prüfungen zur Umweltverträglichkeit (UVP) verschärft wurden. Österreich hatte eine EU-Richtlinie so umgesetzt, dass der Schutz von sensiblen Zonen von den Betreibern leicht zu unterlaufen war.

Nach Beschwerde des Alpenschutzbundes reiste Lichtenberger mit einer Erkundungsmission an, die die Mängel festhielt. Die EU-Kommission teilte die Sichtweise, drohte der Regierung in Wien mit einem Verfahren. Und siehe da: Österreich besserte seine Gesetze nach. Ein direkter Erfolg des Bürgerwillens, zeigt sich die Grüne noch heute zufrieden. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 19./20.1.2013)